Religion | 02.02.2009

Gott, Gene und Gehirn: Die Evolution der Religiosität

Gott, Gene und Gehirn

Religiosität ist ein Rätsel. Denn wie kommt es, dass die meisten Menschen nicht nur zu allen Zeiten, sondern in fast allen Kulturen beziehungsweise Ländern auch heute noch gläubig sind? Obwohl es keine guten Argumente für die Existenz transzendenter Mächte gibt und religiöses Verhalten oft sehr zeitaufwendig und kostspielig ist? Nun sollen naturwissenschaftliche Erklärungen dieses Rätsel lösen: Religiosität könnte von der Evolution hervorgebracht worden sein – als Erfolgs- oder Abfallprodukt. Der Biologe und Philosoph Rüdiger Vaas fasst den aktuellen Forschungsstand zusammen und warnt vor falschen Schlüssen.

 

 

Von einem evolutionsbiologischen Standpunkt aus betrachtet könnte Religion als überflüssiger Luxus erscheinen – und müsste dann womöglich längst ausselektiert sein. „Die Religion ist die größte Herausforderung für die Soziobiologie des Menschen“, schrieb einer ihrer Begründer, Edward O. Wilson, deshalb. Diese Herausforderung geht allerdings in zwei Richtungen! Sie ist erstens eine für die Evolutionstheorie: Gerät diese in Schwierigkeiten, wenigstens in ihrer Anwendbarkeit auf den Menschen, wenn Religion ein reiner Luxus ohne irdische Vorteile ist? Zweitens ist aber auch die Religion selbst herausgefordert: Wird sie hinfällig, wenn sie sich naturalistisch erklären lässt?

Aus darwinistischer Perspektive – und Charles Darwin selbst hat darüber bereits nachgedacht – besteht die Möglichkeit, dass Religiosität nicht (überwiegend) einen Selektionsnachteil hat, sondern einen Selektionsvorteil. Sie wäre dann vielleicht eine Illusion – aber eine nützliche.

Tatsächlich mehren sich in letzter Zeit die Versuche, Religiosität als eine Art evolutionäre Anpassung zu interpretieren und zu erklären. Das ist eine hochinteressante Hypothese, die deshalb auch häufig die Aufmerksamkeit von Massenmedien anzieht. Allerdings muss sie entgegen vieler populärer Darstellungen – sowie einiger Behauptungen mancher Wissenschaftler – sehr differenziert und kritisch betrachtet werden. Zumindest sollte man beim gegenwärtigen Forschungsstand keineswegs sagen, dass die Hypothese bereits erhärtet ist. Was im Hinblick auf dieses noch junge Thema der Wissenschaft freilich auch nicht verwundert, sondern im Gegenteil dessen faszinierende Dynamik deutlicher werden lässt. Und darin liegt vielleicht der besondere Reiz dieser neuen Forschungsrichtung: Dass der Glaube ans Übernatürliche auf natürliche Weise verstanden und sogar entzaubert werden kann.


Die Hauptfragen

Um herauszufinden, ob es tatsächlich eine Evolution der Religiosität gab und vielleicht noch gibt, müssen verschiedene zentrale Fragen beantwortet werden. Vor allem:

Was ist Religiosität eigentlich, und was ist Religion?

Ist Religiosität eine evolutionäre Anpassung?

Was sind die Kriterien für eine evolutionsbiologische Erklärung der Religiosität als Anpassung?

Worin, wenn überhaupt, bestehen die Selektionsvorteile der Religiosiät?

Darüber hinaus stellt sich die Frage:

Sind Religionen wahr und gut, wenn Religiosität als eine evolutionäre Anpassung nützlich ist?

Im folgenden fasse ich den aktuellen Forschungsstand zusammen und weise auf falsche Schlüsse hin.