Hirnforschung | 04.09.2010
Verboten, erlaubt oder geboten?
Genau solche Probleme sind es, die die Hirnforschung mehr und mehr aufwirft. So zweifelt wohl kaum jemand daran, dass es gut ist, die kognitiven Leistungen von Schülern und Studenten durch eine bessere Betreuung und größere Zahl von Lehrern zu erhöhen. Wenn Neuroenhancer wie Ritalin denselben Effekt haben, sollte deren Einsatz dann nicht gleichermaßen begrüßt werden? Oder besteht nicht doch ein ethischer Unterschied?
Und was spricht dagegen, die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit sowie das Langzeitgedächtnis durch pharmazeutische Stimulationen zu verbessern und damit beispielsweise Nachteile gegenüber jüngeren Menschen oder begabteren auszugleichen? Für Alte, für Schachspieler, für Leute mit großem Arbeitsdruck wäre das eine Hilfe – oder doch nicht? (Nebenwirkungen sowie Einflüsse auf ein weiteres Umfeld, bis hin zu verstärktem gesellschaftlichen Druck seien zunächst außer acht gelassen.)
Oder wie steht es beim Umlernen etwa von Zwangsneurotikern durch implantierte Hirnschrittmacher? Nichts anderes, nur in manchen Fällen weniger erfolgreich und direkt, geschieht ja beispielsweise auch bei der kognitiven Verhaltenstherapie.
Freilich gilt auch hier: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung! Doch vielleicht lassen sich die Nebenwirkungen kontrollieren und in erträglichen Grenzen halten. Wäre dann die Kosten-Nutzen-Bilanz so gut, dass Psycho-Design und Hirn-Doping nicht nur erlaubt sein sollten, sondern vielleicht sogar geboten? Und wenn nicht für einen selbst, so doch für andere?
"Angenommen, es gäbe eine Pille, die kaum Nebenwirkungen hat und die man 30 oder 40 Jahre nehmen kann, ohne süchtig zu werden", überlegt Thomas Metzinger, "die Sie überaus friedfertig und freundlich macht, die es Ihnen erlaubt, sich den ganzen Tag ‚besser als sehr gut‘ zu fühlen, und die Ihnen das subtile Funkeln eines Flirts ins Gesicht zaubert – wollten Sie selbst eine solche Pille gerne nehmen? Oder kennen Sie Leute, die eine solche Pille unbedingt nehmen sollten – Ihr Chef vielleicht?"
Der Wissenschaftsphilosoph und Biologe Rüdiger Vaas, gbs-Beirat und im Komitee dieser Website, ist Redakteur beim Monatsmagazin bild der wissenschaft und Verfasser zahlreicher Publikationen zur Hirnforschung.
Sein Buch Schöne neue Neuro-Welt. Die Zukunft des Gehirns wurde vom Hirzel-Verlag veröffentlicht und kann u.a. hier im Denkladen erworben werden.
Rezensionen beispielsweise hier, hier und hier.
Ein Auszug über Aufgeputschte Gehirne ist vor kurzem hier erschienen.
Ein Interview zum Buch hat Claudia Gorr geführt: Diesseits Nr. 83 (2008).
Zum Thema Authentizität hat Rüdiger Vaas außerdem einen ausführlichen philosophischen Essay publiziert:
• "Werde der du bist!" – Unterwegs zu sich selbst. UNIVERSITAS Bd. 65, Nr. 767 & 768, S. 478-489 & 592-611 (5 & 6/2010).
Zum Thema Emotionen und Rationalität veröffentlichte er dort in der aktuellen Ausgabe ebenfalls einen ausführlichen Beitrag:
• "Gefühle und Vernunft – Das emotionale Gehirn im Fokus der Forschung. UNIVERSITAS Bd. 65, Nr. 771, S. 884-907 (9/2010).