Hirnforschung | 05.08.2010

Aufgeputschte Gehirne

Rüdiger Vaas: Schöne neue Neuro-Welt

Hirn-Doping oder Neuro-Enhancement ist ein aktuelles Reizthema. Der Philosoph Rüdiger Vaas besichtigt die Verlockungen einer schönen neuen Neuro-Welt mit ungeahnten Fortschritten für alle und die Bedrohung durch eine neue Klassengesellschaft und pathologischen Leistungswahn.

 

Von Rüdiger Vaas

Die tiefgreifendste und massenwirksamste Neuro-Revolution der nächsten Jahre findet biochemisch statt: Hirn-Doping, Lifestyle-Medikamente, Glückspillen, Gedächtnis-, Konzentrations- und Intelligenzverstärker sind die Objekte großer Versprechungen. Denn was den Kranken recht ist, sollte den Gesunden teuer sein; wenn bestimmte Präparate gegen Beeinträchtigungen und Ausfälle wirken, könnten sie doch auch die Leistungsfähigkeit intakter Gehirne steigern, so die – keineswegs zwingende! – "Logik" mancher Psychopharmakologen oder der, teils illegalen, Nutznießer. Möglicherweise erleben die pharmazeutischen Denkhelfer und Hirnverstärker bald denselben Boom wie Viagra & Co.

Tatsächlich wächst der Markt der Lifestyle-Medikamente (Präparate, die Gesunde zu sich nehmen) rapide – auf mehr als zwei Dutzend Milliarden Dollar jährlich für Potenzpillen, Rauchen-Entwöhnungsmittel und Gewichtsreduzierer allein in den USA. Und das hat noch wenig mit der Hirnphysiologie zu tun. Die Neurochemie-Goldgräberstimmung steht erst am Anfang.

 

Doping für das Hirn

Aufputschmittel Koffein im Kaffee

Koffein, Glucose und andere Substanzen in "Energy Drinks" sind etablierte Aufputschmittel. Ein anderer Stoff gelangte über die Medizin auf den Markt, als Medikament gegen plötzlich auftretende Schlafattacken (Narkolepsie): das erstmals 1887 synthetisierte Amphetamin (AMPH). Seit dem spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 wird es militärisch eingesetzt, um die Wachsamkeit und Konzentration der Soldaten zu erhöhen. Im Zweiten Weltkrieg dopten die US-Streitkräfte ihre Truppen mit Millionen von Pillen – Deutschland, Großbritannien, Japan und andere hielten dagegen. Und um die Wirkung der "go pills" auszugleichen, wurden dann wieder Schlafmittel verabreicht. Halluzinationen und Psychosen waren Begleiterscheinungen dieser biochemischen Kriegsführung im eigenen Lager.

Inzwischen gibt es Mittel mit weniger Nebenwirkungen, etwa Modafinil (Provigil). Im Irak-Krieg waren US-Soldaten damit bis zu 48 Stunden lang im Einsatz – und wurden nach acht Stunden Schlaf nicht selten gleich wieder gedopt. (Allerdings zeigten Experimente, dass 400 Milligramm Modafinil auch nicht mehr bewirken als sechs Tassen Kaffee.) Einige weitere kognitive Leistungshelfer gegen Müdigkeit, Stress und geistigen Abbau sind schon in der Entwicklung oder Testphase.

Chemisch eng verwandt mit AMPH ist Methylphenidat (Ritalin), das oft gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung verschrieben wird. Es verändert die Gehirndurchblutung und wird immer häufiger auch von Gesunden illegal als Gehirn-Dopingmittel eingenommen. 2001 machten bereits 4,1 Prozent der über 10 000 befragten College-Studenten in den USA regelmäßig davon Gebrauch. (Es kursieren auch Zahlen anderer Umfragen von bis zu 20 Prozent, aber die sind schwer zu erhärten. Zum Vergleich: Im UNO World Drug Report wird geschätzt, dass in den USA 2,8 Prozent der 15- bis 65-Jährigen mindestens einmal im Jahr Kokain zu sich nehmen.)