Hirnforschung | 04.09.2010

Stimmungskanonen im Gehirn

Gehirnprodukt von Rüdiger Vaas: Schöne neue Neuro-Welt © hirzel.de

Psycho-Design ist ein aktuelles Reizthema. Der Philosoph Rüdiger Vaas besichtigt die Verlockungen einer schönen neuen Neuro-Welt mit ungeahnten Glücksversprechungen für alle sowie die Bedrohung durch Gefühlskontrolle und den Raub emotionaler Authentizität.

 

Von Rüdiger Vaas

"Sollte sich durch einen unglücklichen Zufall wirklich einmal etwas Unangenehmes ereignen, nun denn, dann gibt es Soma, um sich von der Wirklichkeit zu beurlauben. Immer ist Soma zur Hand, um Ärger zu besänftigen, einen mit seinen Feinden zu versöhnen, Geduld und Langmut zu verleihen. Früher konnte man das alles nur durch große Willensanstrengungen und nach jahrelanger harter Charakterbildung erreichen. Heute schluckt man zwei, drei Halbgrammtabletten, und damit gut!"

Diese Schilderung stammt aus dem Roman Schöne neue Welt von Aldous Huxley. Erschienen ist er im Jahr 1932, und inzwischen sind wir – Psychopharmaka sei Dank – dieser schönen Welt schon beträchtlich näher. Denn nicht nur eine Steigerung oder Ausbeutung unserer kognitiven Ressourcen kündigt sich an (davon war kürzlich hier schon die Rede), sondern auch eine schleichende (Selbst-)Manipulation unserer Gefühlswelten.

 

Bewusstsein nach Wunsch

Die gezielte Manipulation der eigenen Psyche gibt es schon lang. "Der Einsatz psychoaktiver Substanzen zur Heilung von Krankheiten, bei Festen, Ritualen und religiösen Zeremonien ist die älteste Form der Neurotechnologie. Die Suche nach Rausch und religiöser Ekstase, nach Wachheit und Wohlbefinden durch die Beeinflussung von Botenstoffen im Gehirn stellt eine echte Menschheitstradition dar", konstatiert Thomas Metzinger, Philosoph und Bewusstseinsforscher an der Universität Mainz. "Vom Kräutertee bis zum heiligen Pilz – zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben Menschen versucht, ihren Bewusstseinszustand zu verändern. Doch jetzt gibt uns die moderne Neuropharmakologie immer bessere Werkzeuge an die Hand, um unseren Geist zu tunen."

Um die Laune zu heben oder sich zu entspannen, werden schon seit einigen Jahren Substanzen angeboten. Amineptin etwa, das die Wiederaufnahme von Dopamin im Gehirn verringert, und Selegilin, das das Enzym Monoamin-Oxidase B hemmt. Das Antidepressivum Fluoxetin (Fluctin, Prozac), das die Wiederaufnahme des Hirnbotenstoffs Serotonin hemmt, schlucken bereits Millionen Menschen weltweit – seit seiner Einführung in den USA 1987 haben es bereits über 21 Millionen Amerikaner genommen.

Auch Ritalin wird für das Heben des Wohlbefindens vermehrt eingesetzt, illegal, und erzeugt zusammen mit Alkohol künstliche Hochstimmungen, wie sie vom Kokain bekannt sind. Und Ecstasy (MDMA; 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) steigert die Serotonin-, Dopamin- und Adrenalin-Produktion und sorgt seit den Achtzigern für Schlagzeilen. Diese Droge verstärkt die Offenheit eines Menschen (weshalb sie in den Siebzigern in der Psychotherapie bei besonders verschlossenen Patienten angewandt wurde) und regt zu positiveren Bewertungen der Umwelt an. Langzeitfolgen können Abhängigkeit, Depressionen und Hirnschäden sein.