Debatte | 10.06.2011

Annexion durch Wortwahl

Darwin-Jahr Bild

von Andreas E. Kilian

Schon Charles Darwin vermutete, dass das Phänomen Religion auf biologische Ursachen zurückzuführen sein muss. Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der Mensch tatsächlich prädestiniert ist, glauben zu müssen. „Tatsächlich“? Sagten wir „glauben“ oder „glauben“. Oder finden hier rhetorische und sophistische Wortspielereien statt, um der Existenz der Religionen einen wissenschaftlich begründeten Anstrich zu geben? Wird hier etwa die Religion durch die Wortwahl in die Naturwissenschaft und den täglichen Sprachgebrauch hinein-interpretiert?

1 Zwischen drei Welten

Es ist kein Geheimnis: Religion und Wissenschaft passen nicht so recht zueinander. Wissenschaft ist eine Methode, mit der man sich ergebnisoffen um Erkenntnisse bemüht und diese und die  daraus gewonnenen Hypothesen permanent wieder infrage stellt. Religion ist eine Argumentationsebene, deren letzte Erkenntnisse bereits feststehen und die sich bemüht, in sich logisch geschlossen zu erscheinen, die aber keinen logischen oder überprüfbaren Bezug zur Empirie aufweist. Und wo stehen die Religionswissenschaften oder besser gefragt die Religionswissenschaftler? In Deutschland gibt es unterschiedliche Lager. Auf der einen Seite vergeben die beiden großen Kirchen in Deutschland die Mehrheit der Lehrstühle der Religionswissenschaften gemäß den üblichen Kriterien für den Dienst in den Kirchen. Auf der anderen Seite existieren nur eine Handvoll Lehrstühle und Stellen, die frei von kirchlichen Verpflichtungen vergeben werden können.

Solange Themen erforscht werden, bei denen der persönliche Glaube keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, kann es dem Steuerzahler egal sein. Gute Wissenschaft ist gute Wissenschaft, egal wer sie macht. Und dass es brillante Theologen gibt, steht außer Frage. Denken wir an Darwin oder Mendel. Auch dass die Religionswissenschaftler gerne die Wichtigkeit der Religionen im täglichen Leben überschätzen, sei ihnen gegönnt. Klappern gehört bekanntlich zum Geschäft. Wer hält nicht sein Steckenpferd für das wichtigste auf der Welt?

Aber da gibt es auch bedenkliche Entwicklungen. Denken wir an die „Forschungsinstitute“. Nicht nur die großen Kirchen in Deutschland unterhalten eigene Institute, die mit Stiftungsgeldern, Spenden und Stipendien finanziert werden. Auch amerikanische Stiftungen geben große Summen für Forschungsarbeiten aus, die die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung „kritisch“ und dennoch „glaubensfest“ hinterfragen sollen. Selbst für Gottesbeweise werden Gelder vergeben. Weiterhin gibt es in Deutschland privat finanzierte Forschungsinstitute großer Firmen, die den Kirchen nahe stehen. Wie wissenschaftlich die Arbeit sein kann, wenn die letzten Erkenntnisse per Offenbarung bereits feststehen, ist sicherlich im Einzelfall zu klären.

Trotz aller Unterschiede in den Details sind sich die meisten Kirchen und Glaubensgemeinschaften in einem Punkt einig: Religion ist für das Leben dringend notwendig und spielt in allen Lebensbereichen eine herausragende Rolle. Daher wird nicht nur bereitwillig eine religiös motivierte Forschung finanziert. Viele gläubige Menschen fühlen sich auch berufen, ihre Glaubensinhalte in der Öffentlichkeit zu vertreten und ihrer Meinung verstärkt Gehör zu verschaffen. Und je mehr die Geistes- und Naturwissenschaftler – wissentlich oder unwissentlich – die Religion aus dem Leben wegdiskutieren, desto härter kommt der Bumerang zurück. Viele Gläubige – auch viele gläubige Wissenschaftler – sehen sich in der Verteidigungsposition und fangen an, nach der Rechtfertigung ihrer Überzeugungen zu suchen. Und diese sollte in einer wissenschaftsorientierten Welt möglichst wissenschaftlich fundiert sein, um gewichtiger zu erscheinen. Und so führt manche Glaubensannahme im wissenschaftlichen Deckmäntelchen zu beträchtlichen Irritationen, die von einigen Rhetorikern geschickt genutzt werden können.