Ethik | 01.12.2010

Alles Denken ist unmoralisch

 

Moral ohne Religion

Atheistische Moral ist kreativerEs gibt verschiedene philosophische Ansätze für eine Moralbegründung:

1.) Die „natürliche“, „objektive“ oder „reale“ Moral. Demnach ist Moral für alle Menschen objektiv begründbar. Zum Beispiel argumentierte der Philosoph Lord Shaftesbury, dass wir einen „moralischen Sinn“ hätten, der heute als „Gewissen“ bekannt ist. Die Stimme unseres Gewissens treibt uns dazu, aus Eigennutz die allgemeine Harmonie anzustreben. In unserer Zeit argumentieren die Philosophen Sam Harris und Richard Carrier für eine objektive Ethik. David Eller widerspricht diesem Ansatz, weil Moral zu verschiedenartig sei und zu widersprüchlich, um natürlich, real, oder objektiv sein zu können. Es gebe überhaupt keine Übereinstimmung über moralische Antworten, nicht einmal über moralische Fragen.

2.) Die rationalistisch begründete Moral. Man beginnt bei den relevanten Fakten, wendet Logik und kritisches Denken auf sie an, gewichtet die Alternativen und wählt die „moralische“ Handlungsweise. David Eller hält diesen Ansatz für ebenso angreifbar wie die anderen, weil sich die Frage auftut, was die relevanten Fakten sind und wie man die Alternativen gewichten soll.

Er nennt als Beispiel die Frage, ob und wann Abtreibung moralisch akzeptabel ist. Ein Rationalist gab ihm folgende Antwort: Ein Fötus hat kein vollständiges und funktionierendes Gehirn, nur Lebewesen mit vollständigen und funktionierenden Gehirnen sind Personen und darum ist es moralisch akzeptabel, einen Fötus zu töten. Das Problem mit dieser Art von Schlussfolgerung bestehe darin, dass die Grundlagen der Debatte einfach vorausgesetzt würden (ist ein vollständiges und funktionierendes Gehirn die Voraussetzung für den Personenstatus und ist ein Mangel des Personenstatus eine Rechtfertigung fürs Töten?). Zudem werden Fragen nach Interessens- und Wertekonflikten ausgelassen. Was ist, wenn der Vater des Kindes gegen die Abtreibung ist, obwohl es sich nur um einen Fötus handelt?

3.) Eigennutz, Interessensethik. Der informierte Egoismus sollte als Richtlinie des Handelns dienen. Dies besagt zum Beispiel Ayn Rands „Objektivismus“ oder Adam Smiths Vorstellung von einer unsichtbaren Hand, laut der eigennütziges Handeln letztlich dem Wohl der Allgemeinheit dient, insofern Individuen im Rahmen ihrer ethischen Gefühle handeln, um ihr persönliches Glück zu erhöhen (Smiths Betonung der ethischen Gefühle, des Gewissens, wird gerne übersehen, gehört aber zu einer zwingenden Voraussetzung für die Wirksamkeit der unsichbaren Hand!).

4.) Utilitarismus: Die Vermeidung von Leid und das Anstreben von Glück für die größte Zahl von Menschen oder von leidensfähigen Lebewesen. Der Utilitarismus ist konsequenzialistisch. Der Konsequenzialismus besagt, dass nur die Folgen von Handlungen ethisch relevant sind. Sam Harris argumentiert, dass eigentlich alle ethischen Ansätze konsequenzialistisch seien und letzten Endes alle das Wohl der Menschen anstrebten. Viele irrten sich nur darüber, wie das zu bewerkstelligen sei. Die Tatsache, dass moralische Entscheidungen manchmal Schmerz verursachen und die Gewichtung von Glück und Leid (z.B. meine gegen deine) sind Probleme, die der Utilitarismus lösen muss.

5.) Pflichtethik (deontologische Ethik): Laut Immanuel Kant sind bestimmte Handlungen „kategorische Imperative“, also ist von uns einfach verlangt, dass wir bestimmte Dinge tun. Wir sollten uns an den Maximen orientieren, die unseren Handlungen zugrunde liegen, beispielsweise widerspricht unserer Neigung, ein geschätztes Gut zu stehlen, die Maxime „du sollst nicht stehlen“. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Demnach sind besimmte Handlungen „an sich“ richtig oder falsch. Friedrich Schiller hat sich einst darüber lustig gemacht, dass wir unseren Freunden laut Kant nur aus kühlem Pflichtbewusstsein wohlgesonnen sein sollen.

6.) Tugendethik: Eine Tugend ist eine edle, beständige Charaktereigenschaft und eine Tugend liegt laut Aristoteles stets zwischen zwei Lastern. Im Falle von Mut sind die Laster Feigheit und Vermessenheit. Die höchste Tugend war für Aristoteles die Weisheit, nachgeordnet sind Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung, Freigebigkeit, Hilfsbereitschaft, Seelengröße, Sanftmut, Wahrhaftigkeit, Höflichkeit und Einfühlsamkeit. Was die entscheidenden Tugenden sind, hängt von den Umständen ab, aber sie dienen letztlich der Vervollkommnung des Menschen auf Grundlage seiner Natur, damit er die Harmonie mit sich selbst erreichen kann. Das Ziel ist die Glückseligkeit des Menschen. Tugenden werden durch die Vernunft bestimmt und durch Erziehung und Übung antrainiert. Wer tugendhaft lebt, lebt als Begleiteffekt glücklicher.

7.) Kontraktualismus: Eine Vertragsethik, die auf Rousseaus Idee eines „Gesellschaftsvertrags“ zurückgeht. Laut John Rawls „Theorie der Gerechtigkeit“ sollen wir einen „Schleier des Nichtwissens“ anlegen, um faire Gesellschaftsverträge abzuschließen. Man sollte davon ausgehen, dass man in jeder beliebigen Gesellschaftsschicht geboren werden könnte, mit allen möglichen Anlagen, man könnte Frau oder Mann sein, und jeder Ethnie angehören. Auf Grundlage dieser „blinden“ Perspektive gestaltet man die Gesellschaft so, dass sie gerecht ist.

8.) Andere Ansätze sind Menschenrechte (oder Naturrechte), Gerechtigkeit oder Fairness. Auch ein Kontraktualist oder ein Utilitarist könnte Menschenrechte adoptieren, wenn er davon ausgeht, dass sie die Gesellschaft gerechter machen oder dazu beitragen, Leid zu vermeiden und Glück zu fördern. Wie man sieht, sind die verschiedenen Ansätze verwandt und es gibt einen Austausch untereinander.