Moralphilosophie | 20.05.2010

Ethik für alle

Glückliche Familie (morguefile.com)

Menschen haben verschiedene Meinungen über das gute Leben. Nicht nur in Bezug auf sich selbst, sondern auch in Hinblick darauf, wie alle anderen Menschen leben sollten. Welches Verhalten ist richtig und welches ist falsch? Philosophen haben sich jahrtausendelang die Köpfe darüber zerbrochen.

Und hier ist das Ergebnis.

 

Irrgarten der Ethik

Manche von uns feiern den Muttertag, andere steinigen ihre Frauen. Wer hier einen ethisch relevanten Unterschied ausmacht, gerät in bestimmten Kreisen in Verdacht, eine imperialistische Hegemonialmacht zu vertreten.

In diesem Sinne: Lang lebe die Queen. Denn wären ethische Prinzipien tatsächlich so relativ, dann wäre es gleichermaßen gut, dass hierzulande Steinigungen verboten sind und in Saudi Arabien nicht. Es gäbe keinen Maßstab, anhand dessen wir bemessen könnten, dass eine Gesellschaft mit oder ohne Steinigung irgendwie besser wäre. Was, schließlich, soll „besser“ überhaupt bedeuten?

Also haben die Aufklärer des 18. Jahrhunderts, der „Sattelzeit“, ein paar Maßstäbe erfunden: Menschenrechte, Selbstbestimmung, Toleranz und all diese Dinge. Dank des naturalistischen Fehlschlusses hängen diese ethischen Prinzipien allerdings in der Luft: Kann man Irrgarten (morguefile.com)Werte nicht von Fakten ableiten – im Gegensatz zu allen (anderen) Forschungsbereichen der Wissenschaft, die ausnahmslos auf Fakten beruhen – dann bedeutet dies, dass Werte eine von der Natur unabhängige Schöpfung sind.

Vielleicht wird es Zeit, auch die Ethik aus dem idealistischen Himmelreich herunter auf die Erde zu holen.

 

Der Relativismus bekommt die letzte Ölung

… und Gott ist bereits von uns gegangen. Gläubige beharren auf ein solides Fundament für die Moral, ewig wahr und gültig für immer. Aber ihres ist ein bisschen bröckelig, weil es nicht existiert. Zudem haben sich viele religiöse Werte als zu simpel für diese komplexe Welt herausgestellt. Wer hätte annehmen können, dass die Heiligsprechung des menschlichen Lebens einmal zu ethischen Problemen führen würde? Doch mit der Abtreibungsproblematik und mit neuen Technologien und Erkenntnissen erweist sich das Kriterium zunehmend als vage und unbrauchbar. Es hat sich gezeigt, dass man vergewaltigten Frauen nicht mit dem Dogma des heiligen Lebens von irgendwelchen Zellen ankommen kann, wenn sie ihren unfreiwilligen Sprössling wieder loswerden wollen. Menschen leiden unter ewigen Dogmen.

Insofern dürfte es kaum helfen, wenn Naturalisten nun das Spiegelbild einer religiösen Moral entwerfen. Darum tut das auch niemand. Der ethische Realismus hat Vorteile gegenüber beiden alten Konzepten. Er hat ein starkes Fundament – die menschliche Natur, wie sie die moderne Forschung sieht und wie man sie intersubjektiv nachvollziehen kann. Und er ist zugleich flexibler und anpassungsfähiger als religiöse Moralitäten, ohne in die Beliebigeit abzugleiten. Der Grund: Er gebraucht die wissenschaftliche Methode als Glücks-Technologie, als eine Methode zur Erzielung von einem langen und glücklichen Leben für möglichst viele Menschen. Dogmatisch ist der ethische Realismus also nicht – sonst würde man unterstellen, dass die Wissenschaft dogmatisch ist und das ist gar nicht wahr.

Der amerikanische Historiker und Philosoph Richard Carrier (heute 41 Jahre alt) hat bereits fünf Jahre vor Sam Harris ein konkretes Konzept vorgelegt, wie eine wissenschaftsbegründete Ethik aussehen könnte. Sie heißt „Die Ziel-Theorie ethischer Werte“. Werfen wir einen Blick darauf und entscheiden nach einer kritischen Begutachtung, ob mit einem solchen Ansatz wirklich dem Sozialdarwinismus die Tore geöffnet werden, wie es Sam Harris gerade von seinen Kritikern zu hören bekommt.