Psychologie | 09.03.2010

Die abergläubische Spezies

 

3. Das Herz der Finsternis

 

Ewige Nacht? (Foto: morguefile.com)Mit Hilfe des Essenzialismus können wir schnell und effektiv Beutetiere von Raubtieren, Personen von Gegenständen und allgemein unterschiedliche Dinge voneinander unterscheiden. Kein Wunder also, dass der Essenzialismus adaptiv ist und somit zum Überleben beiträgt. Leider ist auch dieser Mechanismus zu grobschlächtig.

Der Essenzialismus ist für zahlreiche Formen des Aberglaubens grundlegend, darunter der Glaube an ein metaphysisches Böses, das von Personen und Objekten Besitz ergreifen könne. Der Essenzialismus bietet auch der Homöopathie eine Nährwiese, da diese von der Heilung durch Ähnlichkeit der Stoffe (ihrer Essenzen) ausgeht. Die Idee von „koscherem“ Essen oder solches, was für Muslime „halal“ ist, rührt wahrscheinlich daher, wie eindeutig Tiere einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden konnten. Zum Beispiel sind laut Levitikus Haie „unrein“, was daran liegt, dass sie zwar im Meer herumschwimmen, aber irgendwie nicht wie die anderen Fische aussehen. Haie haben nicht die „Essenz“ von Fischen.

In seinem aktuellen Buch „The Greatest Show on Earth“ sieht Richard Dawkins den Essenzialismus als einen der Gründe an, warum Menschen mit der Evolution Probleme haben: Sie glauben, dass sich die Arten essenziell, durch eine unsichtbare Eigenschaft, voneinander unterscheiden würden. Dass sich die Arten schrittweise aus anderen Arten entwickelt haben, widerspricht unserer intuitiven Überzeugung. Aufgrund des Essenzialismus haben viele Leute auch ein Problem mit Gentechnik, vor allem mit Klonen und mit Gen-Food. Die Forscher zerstören mit der Gentechnik die „Essenz“ der Lebewesen. Daher kommt auch der Glaube an die „Zellerinnerung“, die Menschen davon abhält, Spendeorgane, vor allem Spendeherzen, von Mördern anzunehmen. Sie glauben, eine „Essenz“ des Mörders könne so auf sie übergehen.

Bruce Hood führte selbst zu diesem Thema Experimente durch. Zum Beispiel fragte er seine Studenten, ob sie den Pullover von dem Massenmörder Fred West anziehen würden. Die meisten Studenten lehnten das spontan ab.

 

4. Verdammt zum Übersinn?

Die Neigung zum Aberglauben ist von Person zu Person genetisch bedingt unterschiedlich, trotzdem teilen wir alle die oben genannten Anlagen in einer mehr oder weniger starken Ausprägung. Man könnte den Aberglauben als Fehlfunktion dieser Anlagen ansehen, aber das wäre zu optimistisch, denn diese Fehlfunktionen kommen zu häufig vor. Nein, wir sind wohl tatsächlich von Natur aus abergläubisch, auch Atheisten, auch die größten Skeptiker.

Psychologen sind sich einig, dass es zwei Betriebssysteme für das Denken in unseren Gehirnen gibt: Das evolutionär alte intuitive, natürliche, automatische, heuristische oder implizite System (die Bezeichnungen sind synonym), das in Kindern operiert, bevor sie das Schulalter erreichen. Und das evolutionär neue konzeptuell-logische, analytisch-rationale, explizite System, welches logisch-rationales Problemlösen ermöglicht. Unter Stress funktionieren wir im intuitiven Modus. Das rationale System ist langsam und ineffizient. Und doch besitzen wir es, im Gegensatz zu den meisten anderen Tierarten.

Die Frage ist nun, ob und wann wir es benutzen sollten.