Psychologie | 09.03.2010

Die abergläubische Spezies

 

5. Die Leiden der jungen Skeptiker

 

Puppe trägt Hitlers Anzug - morguefile.comUm die Verführungen des Essenzialismus zu illustrieren, habe ich ein paar „Feldversuche“ mit einem skeptischen Publikum durchgeführt. Gut 90% der Leser sind in die Falle getappt. Mit dem eigenen Aberglauben konfrontiert, kritisierte man nun den Versuchsaufbau (obwohl es natürlich kein richtiger Versuch, sondern nur eine Illustration war). Einige traten sogar dem Versuch oder mir persönlich mit einer bemerkenswerten Feindschaftlichkeit entgegen.

In einer von drei Aufgabenstellungen fragte ich meine Leser, ob sie Hitlers Anzug tragen würden. Das ist keine Verfälschung von Hoods Aufgabe, sondern das Original des Psychologen Paul Rozin. Rozin stellte fest, dass stets einer von vier Gründen angegeben wird, warum die Leute Hitlers Anzug nicht tragen möchten:

 

 

  1. Wir möchten nicht dabei ertappt werden, etwas zu tun, was die Mehrheit verweigern würde.

  2. Jeder Gegenstand, der mit einem Mörder assoziiert wird, ist negativ und darum erweckt das Tragen des Anzugs Assoziationen mit dem Tötungsakt.

  3. Wir glauben, dass die Kleidung physisch kontaminiert ist.

  4. Wir glauben, dass die Kleidung spirituell (durch eine übernatürliche Substanz) kontaminiert ist.

 

Bruce Hood macht auf ein Problem mit dem ersten Punkt aufmerksam. Zwar ist es rational vertretbar, auf soziale Konformität zu achten, aber es stellt sich die Frage, warum die Mehrheit überhaupt das Tragen von Hitlers Anzug verweigern würde? Mit dem Aussprechen seines Namens scheint es ja kein großes Problem zu geben, doch etwas beunruhigt die Leute, wenn es darum geht, seinen Anzug zu tragen.

Nun kommen wir zu Punkt zwei: Ein Anzug hat mit dem Tötungsakt nichts zu tun, abgesehen davon, dass Hitler persönlich nie jemanden getötet hat, soweit wir wissen (er gab „nur“ die Befehle dazu). Die Tatwaffe könnte Assoziationen mit einem Mord wecken, aber ein Anzug oder ein Pullover? Gewiss: Der jeweilige Psychologe hat seine Testpersonen darüber informiert, dass es sich um das Kleidungsstück eines Mörders handelte. De facto ist es aber nur ein Kleidungsstück, wie es viele andere Leute auch tragen, und nichts sonst. Dass ein Mörder es getragen hat, verändert die Beschaffenheit des Kleidungsstücks in keiner Weise. Die Assoziation befindet sich lediglich in unseren Köpfen – aber warum? Die meisten Menschen würden lieber einen Pullover tragen, der vorher in Hundekot gelegen war und gewaschen wurde, als einen, der von einem Mörder getragen wurde und ebenfalls gewaschen wurde. Zudem findet man nie Unterwäsche in Gebrauchtwarenläden, egal, ob man sie ebensogut waschen könnte wie Hosen. Warum?

In einer Studie brachte man die Testpersonen dazu, sich vorzustellen, dass sie jemanden betrügen würden. Sie fühlten nun das Bedürfnis, ihre Hände zu waschen. Rational ist das nicht. Die Testpersonen verspürten eine Kontamination durch ihren Betrug. Auch der Exorzismus-Ritus bedient sich beim Essenzialismus: Etwas Böses (Dämon) wird mit etwas Gutem (geweihtes Wasser, Gebete) ausgetrieben. In der Realität gibt es jedoch weder den Dämon, noch verändert das Wasser durch seine „Verzauberung“ die Beschaffenheit.

Hitlers Anzug und Fred Wests Pullover sind natürlich nicht durch Körperkontakt physisch kontaminiert worden – Hitler und West waren ja nicht giftig. Es bleibt am Ende nur die spirituelle Kontamination übrig. Und an die glauben atheistische Psychologiestudenten genauso wie teufelsaustreibende Priester.

Die folgenden beiden Fragen an meine Leser zielten darauf ab, ob sie zwei identische Objekte austauschen würden. Insofern sich in diesen Objekten keine übernatürlichen Essenzen befinden, die sie voneinander unterscheidet, wäre es irrational, dies nicht zu tun.