Presseschau | 18.06.2010

Wir haben zum Glauben gefunden

Hyung Koo Lee: Skelett von "Goofy", www.hyungkoolee.net

...indem wir uns Untersuchungen von Gläubigen angesehen haben. In dieser Sonder-Presseschau geht es ausschließlich um Religion. Wir gehen Fragen auf den Grund wie: Macht die Finanzkrise religiös? Warum sind die Engländer während des Zweiten Weltkrieges weniger religiös geworden? Und: Wie wird man wieder religiöser?

 

Macht die Finanzkrise religiös?

Die Finanzkrise hat viele Menschen arm gemacht und psychologische Anspannung begünstigt den Gottesglauben. Macht die Finanzkrise also religiös? Ja – aber auf eine interessante Weise, wie der Forscher Tom Rees anhand einiger Studien erläutert. Zusammengefasst:

Der Glaube an ein Leben nach dem Tod steht nicht prinzipiell mit weniger Stress in Verbindung, aber er reduziert die Anspannung von armen Menschen. Das führt so weit, dass sich die Armen den wohlhabenden Menschen, die generell recht entspannt sind, im Grade ihrer Anspannung angleichen. Religion dient also wirklich als „Opium des Volkes“. Der Glaube an ein gutes Leben nach dem Tod betäubt die Frustration über das schlechte Leben im Diesseits. Auch der Besuch des Gottesdienstes hat diesen Effekt.

Allerdings sind arme Menschen, die regelmäßig beten, ebenso angespannt wie jene, die nicht beten. Zugleich reduziert Beten die Anspannung unmittelbar nach einem finanziellen Absturz. Offenbar tritt ein Entzauberungseffekt ein: Wer kurz nach seinem finanziellen Ruin betet, erwartet vielleicht, dass Gott ihn aus der Krise herausholt. Da dem aber nicht so ist, hilft Beten irgendwann nichts mehr.

Bei Meditation sieht die Lage anders aus: Generell reduziert das Meditieren nicht die Anspannung, aber Menschen, die nach finanziellen Einbußen meditieren, sind weniger angespannt. Vielleicht bemessen Menschen, die meditieren, ihren persönlichen Wert einfach seltener an ihrem Einkommen. Somit liegt der Effekt nicht an der Praxis der Meditation, sondern an einer Lebenshaltung, die materielle Güter geringschätzt.

 

Religion nutzt Krisen aus

Eine neue Studie im „Journal of Political Economy“ von Daniel Chen untersuchte die Auswirkungen der indonesischen Finanzkrise von 1998 auf die Religionsausübung der Betroffenen. Eltern schickten ihre Kinder viel öfter in islamische Schulen als zuvor, obwohl sie dort weniger lernten und obwohl die Schulen teurer waren. Offenbar funktionieren religiöse Institutionen als Versicherungsanbieter: Sie nehmen Geld von Leuten nach dem Grade ihrer Religiosität und verteilen das Geld an jene, die von der Finanzkrise betroffen und die besonders gläubig sind. So ist es zu erklären, dass die Menschen, die häufiger an religiösen Aktivitäten teilnahmen, sich seltener Geld von ihren Nachbarn leihen mussten. Religionen verstärken also die Gruppenidentität in Krisen und schwächen den sozialen Zusammenhalt.

Dort, wo der Staat Kredite anbot, ging die Teilnahme an religiösen Aktivitäten um ganze 80% zurück! Staatliche Sozialangebote konkurrieren also direkt mit konfessionellen. Während die staatlichen Angebote sich an alle Bürger richten und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, profitieren nur besonders gläubige Menschen von den Angeboten der religiösen Institutionen, die sich von der Gesellschaft abspalten. Wenigstens ist der indonesische Staat nicht so selbstzerstörerisch wie der deutsche und finanziert aus öffentlichen Mitteln religiöse Sozialkonzerne.

 

Hawking: Wissenschaft siegt über Religion

Der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking hat nun deutlicher Position bezogen, was den Streit zwischen Wissenschaft und Religion angeht: „Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Religion, die auf Autorität basiert, und Wissenschaft, die auf Observation und Rationalität basiert. Die Wissenschaft gewinnt, weil sie funktioniert“, sagte er.