Presseschau | 04.07.2010

Wir gehen in die Schule zurück

 

Gottes Werk und Bayerns Beitrag

Statt kritisches Denken gilt in Bayern Ehrfurcht vor Gott. So heißt es in Artikel 131, Absatz 2 der Verfassung des Bundeslandes: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen [...]“.

Der Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ macht dieses Verbot von Religionskritik in der Schule null und nichtig. Das interessiert Evangelikale natürlich nicht, also haben sie sich beim bayerischen Kultusministerium über einen Auszug aus dem Buch „The Age of American Unreason“ von der säkularen Humanistin Susan Jacoby beschwert, die in dem aktuellen Englischbuch „Context 21“ des Cornelsen-Verlages auftaucht.

Beim evangelikalen Nachrichtenmagazin idea erfährt man dazu: „Ein führender Mitarbeiter der Weltweiten Evangelischen Allianz, Prof. Thomas Schirrmacher, warf Jacoby vor, „hochkomplexe Zusammenhänge in einem stark religiösen Land wie den USA auf einfache Stereotypen zu reduzieren“.

Schirrmachers Kritik bezieht sich auf die Zusammenhänge zwischen christlichem Fundamentalismus und mangelnder Bildung, die Jacoby anspricht. Die umstrittene Passage, nachzulesen auf der Cornelsen-Website, lautet: „Ungefähr 45% derjenigen, deren Bildung nicht über Highschool-Niveau hinausgeht, glaubt an die wörtliche Wahrheit der Bibel, während nur 29% mit einiger College-Ausbildung und 19% derjenigen, die das College abgeschlossen haben, diesem Glauben alter Zeiten anhängen.“

Dies sind unumstrittene, statistische Tatsachen. Jacoby differenziert außerdem zwischen christlichem Fundamentalismus und Evangelikalismus, so erfährt man im selben Auszug: „Der Hauptunterschied zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen, obwohl sie eine Glauben teilen, der auf einer intimen, persönlichen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen beruht, besteht darin, dass nicht alle Evangelikalen die Bibel als wörtlich wahr empfinden, aber alle Fundamentalisten dies tun.“

Das bayerische Kultusministerium hat den Auszug aus Jacobys Buch trotzdem nicht akzeptiert, allerdings erst nach Kritik von evangelikaler Seite. Zuvor hatten sie das neue Englischbuch abgesegnet. „Context 21“ soll nun ohne den Abschnitt in Bayern erscheinen. Das Ministerium bestätigt die evangelikale Kritik und spricht von einer „einseitige[n] Interpretation“ des religiösen Lebens in den USA und einer „einseitige[n] Darstellung von Verhaltensmustern“, die angeblich in dem Abschnitt erkennbar wären, ohne dass die Gegenseite hinreichend dargestellt werde. Zugleich behauptet das Ministerium, auf Religion auch nicht besonders sensibel zu reagieren und der „historisch-kritischen Methode“ verpflichtet zu sein.

De facto haben die Evangelikalen einen Sieg davontragen können. Die Kritik trifft eindeutig nicht auf die umstrittene Passage zu und den Evangelikalen hat es nur nicht gepasst, dass überhaupt Kritik an ihnen geübt wird. Dies ist nicht das erste Mal, dass staatliche Stellen dem Druck religiöser Fanatiker nachgeben. Als Schülerzeitungsautor Hannes Grosch 2008 kritisch über das Großevangelisierungsevent „Christival“ berichtet hatte, bekam er Todesdrohungen von aufgebrachten Evangelikalen. Sogar Thomas Krüger, Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), gab dem evangelikalen Druck nach und ließ eine „Wiedergutmachungsausgabe“ der Schülerzeitung „Q-Rage“ veröffentlichen. Offenbar sind staatliche Stellen in Deutschland bereit, alles zu tun, was religiöse Fanatiker von ihnen verlangen. Das bayerische Kultusministerium hat diesen Eindruck noch einmal bestätigt.