Neuerscheinung | 20.01.2009

Werden und Vergehen


Der Beginn einer neuen Ära

Einen sehr originellen Ansatz, um die Tragweite von Darwins Erkenntnissen zu veranschaulichen, hat Franz M. Wuketits gewählt. Der Philosoph und Zoologe kontrastiert in seinen "Retrospektiven einer Annäherung" die beiden Naturforscher Alexander von Humboldt und Charles Darwin. "Ein historischer Zufall wollte es, dass in dieses Jahr der 240. Geburts- und 15. Todestag des einen und der 200. Geburtstag des anderen fällt. Und mehr noch: Im Todesjahr Humboldts erschien Darwins epochales Werk, das 'Artenbuch', mit dem er dem Evolutionsdenken zum entscheidenden Durchbruch verhalf. Damit ging Humboldts Ära ideengechichtlich zu Ende."

Für Darwin war Humboldt ein Vorbild, hatte jener doch ebenfalls, ab 1799, Südamerika bereist und ausführlich darüber berichtet. Abgesehen von ihrer finanziellen Unabhängigkeit war das Leben der beiden Entdeckungsreisenden, die sich später auch einmal persönlich trafen, sehr verschieden. Ebenso ihre Sicht der Welt. Aber beide strebten danach, die Einheit in der Vielfalt zu erkennen und verbanden eine Fülle von Einzelerkenntnissen in einer großen Synthese. Humboldt beschwörte jedoch die Harmonie und die "heilige Naturkraft inneren Wirkens", wie es Goethe formulierte. Darwins düstere Theorie der natürlichen Selektion dagegen idealisierte und verklärte die Natur nicht länger, sondern konnte sie erklären. Gleichwohl war Darwin, wie Humboldt, ein großer Humanist, der an die moralische Verbesserungsfähigkeit des Menschen glaubte. Wuketits hat es glänzend verstanden, Darwins Erkenntnis vor dem Hintergrund des Humboldtschen "Kosmos" schärfer sichtbar zu machen und zugleich in einen größeren geistesgeschichtlichen Horizont zu stellen.


Die Selbstorganisation der Natur

Die enorme Bedeutung von Darwins Evolutionstheorie nicht nur in wissenschaftshistorischer, sondern auch -theoretischer Hinsicht beleuchtet Bernulf Kanitscheider. Der Philosoph charakterisiert treffend "Darwins Theorie als Prototyp und Vorläufer einer Theorie der Selbstorganisation": als eine Theorie über die spontane Entstehung komplexer Ordnung. Nicht Planung (transzendente Ziele, Absichten, Design), sondern die im thermodynamischen Nichtgleichgewicht inhärenten physikalischen Prozesse verursachen die erstaunlichen Musterbildungen der Natur und genügen für deren Erklärung.

In einer konzisen Analyse und mit glänzend ausgewählten Zitaten spürt Kanitscheider der konzeptuellen Revolution der Selbstorganisationstheorien nach, die er bis zu den griechischen Atomisten und ihren Überlegungen zur Verschränkung von Zufall und Notwendigkeit zurückverfolgt. Aber erst vor einigen Jahrzehnten wurde deutlich, wie man die Vielfalt und den erstaunlichen Organisationsgrad der Natur physikalisch erfassen kann – und die biologische Evolution ist nur ein Beispiel dafür.


Allgemeinverständlichkeit auf hohem Niveau

Einmal mehr gelang es der Zeitschrift UNIVERSITAS, ein komplexes Thema allgemeinverständlich und zugleich auf hohem Niveau sowie mit expliziten Bezügen zum kulturhistorischen Hintergrund und den philosophischen Implikationen darzustellen. In einer immer marktschreierisch werdenden Medienlandschaft ist dies eine erfreuliche und unterstützenswerte Ausnahme. Und es dürfte kein Zufall sein, dass mit Bernulf Kanitscheider, Franz Wuketits und Rüdiger Vaas gleich drei Beiräte der Giordano-Bruno-Stiftung und zwei Mitglieder des Darwin-Jahr-Komitees unter den Autoren sind.


UNIVERSITAS 1/2009 (64. Jahrgang, Nr. 751), Euro 14, –
Weitere Informationen und Erwerbsmöglichkeit hier:
http://www.hirzel.de/universitas/