Psychologie | 15.06.2010

Werden religiöse Fundamentalisten die Erde erobern?

In Wirklichkeit werden Aliens nicht in geheimer Mission, sondern in tödlicher Missionierung vom Himmel herabfahren. [© Sony]

Der Kosmologe Stephen Hawking – berühmt durch seine Forschungen zum Urknall sowie zu Schwarzen Löchern und Zeitreisen – hat kürzlich davor gewarnt, aktiv Botschaften ins All zu senden, weil sie extraterrestrische Invasoren anlocken könnten. Der Philosoph Rüdiger Vaas teilt Hawkings Befürchtungen und hat eine Hypothese ausgearbeitet, warum diese Gefahr die Erde heimsuchen könnte: Die Außerirdischen wären wohl ideologische Fanatiker, die uns und andere Völker missionieren oder auslöschen wollen.

 

Laut Stephen Hawking sollten wir lieber keine Außerirdischen kontaktieren, denn „wir brauchen nur auf uns selbst zu schauen, um zu sehen, wie intelligentes Leben sich in etwas entwickelt, das wir nicht zu treffen wünschen. Wenn Aliens uns jemals einen Besuch abstatten, werden die Folgen ähnlich sein wie nach der Ankunft von Christoph Kolumbus in Amerika, was den Indianern nicht gut bekam.“

Ob Hawkings Sorgen berechtigt sind, hat eine kontroverse Diskussion angestoßen. So sind im Journal of Cosmology zahlreiche Argumente pro und contra entwickelt und erörtert worden. Auch der Wissenschaftsphilosoph und Astronomie-Autor Rüdiger Vaas, gbs-Beirat und im Komitee dieser Website, wurde von der wissenschaftlichen Zeitschrift zu einem Beitrag zur Debatte eingeladen. Vaas teilt Hawkings Sorgen und hat eine Hypothese vorgeschlagen, warum außerirdische Invasoren die Erde heimsuchen könnten: Sie wären wohl ideologische Fanatiker, die uns und andere Völker missionieren oder auslöschen wollen.

Aufgrund der großen Entfernungen im All ist es unwahrscheinlich, den riesigen Aufwand interstellarer Flüge auf sich zu nehmen, um Sklaven oder Biofleisch zu gewinnen, zumal überlegene Intelligenzen auf Robot- und Biotechnik setzen können. Und Planeten mit Rohstoffen gibt es unzählige im All, ethisch hochstehende Zivilisationen bräuchten daher im Gegensatz zu Hawkings Befürchtung keine belebte Welt auszubeuten. Nicht primär um unsere Körper dürfte es den Invasoren also gehen, sondern um unseren Geist (um unsere Gehirne).

Dass sich religiöse Gruppierungen, besonders fundamentalistische, überdurchschnittlich stark vermehren und so auch die irdische Bevölkerungsexplosion mit all ihren ökologischen und sozialen Verwerfungen mitverursachen, ist schon lange bekannt. Michael Blume und Rüdiger Vaas haben über diese exponentielle Reproduktion und demographischen Aspekte im Buch „Gott, Gene und Gehirn“ (Zusammenfassung hier im Evo-Magazin) ausführlich berichtet. Auch der Politikwissenschaftler Eric Kaufmann warnt seit Jahren vor den Folgen dieses „Breeding for God“. In seinem gerade erschienenen Buch „Shall the Religious Inherit the Earth“ hat er ein düsteres Bild der kommenden Jahrzehnte gezeichnet, wenn der Trend anhält und Fundamentalisten in der Überzahl die Macht ergreifen.

Auf anderen Planeten sind solche „himmlischen Aussichten“ vielleicht schon sehr viel extremer verwirklicht. Zwar dürften aggressive Zivilisationen häufig in globaler Selbstvernichtung untergehen – aber nicht notwendigerweise überall. Das heißt nicht, dass es im All von gefährlichen Ideologen nur so wimmelt. Von friedlichen Zivilisationen brauchen wir uns allerdings nicht zu fürchten. Doch sind diese wohl weniger expansiv. Daher vermuten Evolutionspsychologen wie Geoffrey Miller, dass es aufgrund ihrer Reproduktionsgebote vor allem stark religiös motivierte Außerirdische sind, die die Milchstraße kolonisieren und uns als erstes begegnen könnten. Vom „seid fruchtbar und mehret Euch“ zum „macht euch das Universum untertan“ ist es dann nur ein kleiner Schritt.

Vor diesen Hintergründen hat Vaas spekuliert, dass „Außerirdische, wenn sie die Erde besuchen, wahrscheinlich fanatische Fundamentalisten sind, die missionieren wollen. Wenn Religion weit verbreitet, demographisch expandierend und vielleicht sogar evolutionsbiologisch verankert ist, könnte das zur Bedrohung für alle friedlichen Völker werden.“ Hauptmotivation wäre, ihren Glauben zu verbreiten oder, je nach religiösen Lehren, Nicht- und Andersgläubige in einem galaktischen Harmagedon zu vernichten, wenn sie sich nicht beugen. Kontaktrufe ins All hätten dann verheerende Folgen. Wer sich der kosmischen Evangelisation nicht unterwirft, würde ausgelöscht.

Dies heißt selbstverständlich nicht, dass alle religiösen Menschen oder Außerirdische massakrierende Invasoren sind. Es bedeutet auch nicht, dass die Suche nach Signalen extraterrestrischer Zivilisationen gefährlich oder überflüssig wäre – ganz im Gegenteil. Wenn aber was dran ist am Schreckgespenst missionierender ideologischer Fanatiker, dann sollte sich die Menschheit mit Botschaften ins All zurückhalten, ganz wie es Stephen Hawking riet.

Außerdem würde auch das Fermi-Paradoxon in neuem Licht erscheinen. Schon 1950 fragte der Physik-Nobelpreisträger Enrico Fermi, wo die Außerirdischen oder ihre Boten seien, wenn sie im All so häufig wären, wie oft angenommen wird. Diese Frage hat zu einer Flut von Spekulationen geführt - nicht nur unter Wissenschaftlern. Vielleicht, so überlegt Rüdiger Vaas jetzt, ist die Antwort, warum die Außerirdischen nicht auf der Erde sind, ganz einfach: „Wären sie es, dann wären wir es nicht mehr.“

 

Weiterführende Literatur von Rüdiger Vaas:

 

Die Suche nach Signalen außerirdischer Zivilisationen hat 1960 begonnen. Inzwischen wird sie vom Allen Telescope Array in Kalifornien am effektivsten betrieben. Es wird speziell für die Suche gebaut, dient aber auch der Radioastronomie. [© SETI Institute]

 

Stephen Hawking macht sich Sorgen: Der berühmte Kosmologe warnt vor außerirdischen Invasoren - doch was könnte eine technisch überlegene Zivilisation überhaupt von uns wollen?


 

 

 

Mit Feuer und Schwert: Die Folgen von religiösem Fanatismus sind wenig erquicklich, das beweist schon die Geschichte des Erdenstaubs zur Genüge. Die Gräuel der Kreuzzüge sind ein besonders schreckliches Beispiel ideologischer Mobilmachung.

Das historische Gemälde zeigt Massenexekutionen und Kannibalismus während des Ersten Kreuzzugs im Dezember 1098 bei der Eroberung der Stadt Maarat an-Numan im heutigen Syrien. Raoul von Caen berichtete: "In Maara kochten unsere Leute die erwachsenen Heiden in Kesseln, zogen die Kinder auf Spieße und aßen sie geröstet." [© Bibliotheque Nationale De France]


Vollendete Nächstenliebe: Die Zwangschristianisierung der amerikanischen Ureinwohner ist laut Benedikt XVI ein Mythos, denn die Indianer hätten das Evangelium "still herbeigesehnt", wie er am 13. Mai 2007 sagte. Die Missionierung, so der Papst, "war zu keiner Zeit eine Entfremdung der präkolumbischen Kulturen", sondern "die Liebe bis zur Vollendung".

Stephen Hawking hat die Folgen einer Landung Außerirdischer auf der Erde mit jenen der Entdeckung Amerikas verglichen – Grund also zu großer Vorfreude?

 

Tod der eigenen Meinung: Giordano Bruno vor der Inquisitionskommision (historisierendes Relief von Ettore Ferrari); am 17. Februar 1600 wurde er auf dem Scheiterhaufen in Rom verbrannt, weil den Machthabern seine Weltanschauung nicht passte.