Rezension | 19.01.2009

Das wahre Abenteuer des Lebens

Darwin - das Abenteuer des Lebens

Was bewegt einen Wissenschaftsjournalisten, gut 175 Jahre nach der weltberühmten Reise Charles Darwins auf der „Beagle“, die gleiche Route zu befahren?


Ein hoffnungsvoller Aufbruch

Sieben Monate war Jürgen Neffe auf den Spuren Darwins unterwegs, von England über Südamerika, Australien und Afrika wieder zurück nach Europa. Seine erklärte Absicht war es, sich bei dieser Expedition ein Bild von Darwins Welt zu machen und es an der heutigen Welt zu messen. Wie Darwin möchte auch er sich dem „Abenteuer des Lebens“ stellen - mit der Entscheidung zu einer Reise, die das Leben verändern kann. Und so verspricht das Buch einen aufschlussreichen, doppelten Vergleich, denn nicht nur die bereisten Länder, ihre Menschen und ihre Natur haben sich verändert, sondern auch die beiden Reisenden selbst repräsentieren einen anderen Zeitgeist.

Der Einstieg in dieses Leseabenteuer gelingt sehr leicht. Neffe verbindet seinen Reisebericht in harmonischer Form mit Originalzitaten Darwins. In einem angenehmen Lesefluss folgt man dem Wechsel zwischen Darwins Welt und der Gegenwart. Aus Darwins Zitaten spricht die Begeisterung für das Staunen, Sammeln und Systematisieren. Sie ergreift Neffe ebenso wie den Leser und weckt die Erwartung, spannenden Erkenntnissen beinahe hautnah folgen zu können.


Sturmwolken am Horizont

Gleich zu Beginn treten aber auch erste atmosphärische Störungen auf, wenn Neffe seine Reise zwanghaft und unnötigerweise auch im Detail mit der Darwinschen Reise in Übereinstimmung bringen möchte. Warum z.B. der zweiundzwanzigjährige dritte Offizier am Beginn von Neffes Reise als eine Art junger Darwin vor der Entscheidung seines Lebens aufgebaut werden muss, ist unklar. Auch die blumigen Versuche, eine eigene Naturphilosophie zu entwickeln, wirken ungeschickt bemüht: „Wenn man so will, finden und verbinden sich schon auf molekularer Ebene Partner, die Affinitäten zueinander besitzen. So gesehen steht eine Urform der Partnerschaft am Anfang des Lebens, der Ursprung der Liebe“ (S. 35).

Viele Reisen beginnen etwas holprig, um dann doch gehörig Fahrt aufzunehmen. Mit dieser Hoffnung folgt man Neffe trotz der anfänglichen Irritation weiter, um an den verschiedenen Reisezielen – wie im Klappentext versprochen – auch einen Einblick in die Ideengeschichte der Biologie und einen Einblick in die Geschichte des Lebens von seinen Anfängen bis heute und darüber hinaus zu erhaschen. Das ist ein sehr anspruchsvolles Programm und man ist gespannt, ob und wie Neffe dieser großen Ambition gerecht werden kann.


Wendemanöver auf gefährlichem Grund

Wenn Neffe über Darwins Reise und die allmähliche Entwicklung der Darwinschen Theorie schreibt, schlägt er die Leser durchaus in seinen Bann. Auch die Schilderung vieler seiner persönlichen Begegnungen ist recht unterhaltsam, und der Vergleich der Naturerscheinungen im zeitlichen Abstand von fast 200 Jahren ist atmosphärisch gelungen. Problematisch und ärgerlich wird es dann aber, wenn Neffe Darwin als originellem Theoretiker nacheifern möchte, dabei aber lediglich undifferenzierte Kultur- und Biologiekritik präsentiert. Anders als bei Darwin findet man hier gerade keine durchdachten Argumente. An ihre Stelle treten sattsam bekannte, politisch korrekte Halbwahrheiten zur Ressourcenausbeutung und Artenzerstörung, zum Verhältnis von Natur und Kultur sowie zur Eugenik – und dabei widerspricht er sich auch noch selbst.

So soll uns durch genetische Manipulation und Eugenik ein nicht näher spezifiziertes Unheil drohen: „Als unfertiges Wesen, das sich selbst nicht genügt hat, macht sich der Mensch daran, nun auch biologisch seinen alten Traum von Selbsterschaffung und -verbesserung zu verwirklichen. […] Durch gentechnisch gestützte Eugenik geraten wir zum Subjekt und Objekt eines Experiments mit offenem Ausgang“ (S. 463). Kurz darauf wird dann aber der Einfluss der Gene bei Menschen (und damit ja auch die genetische Manipulierbarkeit) auf lapidare 5% marginalisiert: „Anders gesagt verdankt die Menschheit ihre Existenz zu mehr als fünfundneunzig Prozent jenem staunenswerten Phänomen namens Kultur“ (S. 464).

Ein weiteres Beispiel ist die Diskussion des Begriffs ‚Rasse’, die Neffe an vielen Stellen seines Berichts führt. So meint er: „Der Begriff ‚Rasse’, wie ihn Züchter auf Haustiere anwenden, ergibt auf Menschen übertragen ohnehin keinen Sinn“ (S. 148). Kurz darauf erfasst ihn dann aber eine „seltsame Ergriffenheit, einer letzten ‚Reinrassigen’ gegenüberzustehen“ (S. 151) und auf St. Helena bemerkt er: „Während mir in Südafrika jeder seine Rassenzugehörigkeit nennen kann, ist auf St. Helena dazu niemand imstande“.


Aufgelaufen – aber Rettung in Sicht

Und so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Neffe mit der Hoffnung auf seine Reise ging, ein ähnlich bedeutendes Werk zu schaffen wie Darwin, dessen Buch über die „die Entstehung der Arten“ eine wissenschaftliche und weltanschauliche Revolution bedeutete. Als Leser würde man diesen hohen Anspruch gar nicht stellen – ein gut recherchierter und lebendig erzählter Reisebericht, der im Wechsel zwischen Darwins Reise und der Gegenwart pendelt, wäre schon faszinierend genug gewesen. So aber zerstört eine unausgegorene Darstellung der Ideengeschichte der Biologie, die ständig den inspirierenden Reisebericht unterbricht, bald die Lesefreude an Neffes Buch.

Neffe beendet seine Reise mit dem Versuch, seine Person mit Darwins gefühlter Anwesenheit zu verschmelzen, und dem vagen Ausblick, dass wir die Zukunft als Kulturwesen in unserer Hand haben. Wie wir damit konkret umgehen sollten, bleibt jedoch offen. Ganz anders resümiert Darwin seinen Reisebericht mit einer abwägenden Betrachtung, ob und wann solche Weltreisen trotz aller Unannehmlichkeiten sinnvoll sein können. Er kommt zu dem Schluss, dass jeder wissbegierige junge Mensch eine solche Reise unternehmen sollte, um Erkenntnisse zu gewinnen und die Welt besser verstehen zu können. Dass damit nicht nur der aufregende Besuch exotischer Länder gemeint ist, sondern dass es letztlich darum geht, neue Erkenntnisse zu gewinnen und sie auch gegen Widerstände zu vertreten, weiß jeder, der die bis heute heftig geführten Debatten um Darwins Evolutionstheorie auch nur am Rande verfolgt hat.

Das schwierigste Abenteuer des Lebens ist es wohl, mutig und klar gegen die gängigen Überzeugungen der eigenen Zeit zu denken und zu schreiben wie es Darwin gelang - aber eben nicht jedem Reisenden, auch wenn er sich auf der gleichen Route bewegt. Vor die Entscheidung gestellt, Neffes Buch zu lesen oder in Darwins Reiseberichte einzutauchen, wird der größere Gewinn und das spannendere Abenteuer sicherlich sein, zu Darwins Original zu greifen – und sich dabei mit den eigenen Reiseerfahrungen im Kopf, selbst ein wenig am revolutionären Denken zu versuchen.

 

Sabine Paul, Frankfurt/Main, 14.01.09