Moralphilosophie | 26.08.2010

Zu viel des Guten

 

Wandelbare Werte

Lieber entspanntWie alle anderen Tiere sind wir Menschen von Natur aus Egoisten und zum (genetischen) Überleben (= erfolgreiche Fortpflanzung) programmiert; die Sicherung von Ressourcen ist daher der oberste biologische Imperativ, woraus ein Wettbewerb geradezu zwingend folgt. Was soll uns da noch Moral? Als soziale Lebewesen sind wir auf ein Miteinander mit unseren Artgenossen angewiesen, und unser Denkvermögen zwingt uns ab und an dazu, das eigene Verhalten und Handeln kritisch zu reflektieren.

Wir haben "Gut" und "Böse" erfunden, und Moral hat für unsere Gattung offensichtlich ihre Bedeutung, sonst wären Werte und Normen nicht in allen Kulturen und Gesellschaften (selbst in Verbrecherorganisationen) anzutreffen. Allerdings variieren Werte und Normen von einer Kultur zur anderen, von einer Gesellschaft zur anderen oft erheblich.

Was aber ist "Moral"? Nach meiner Definition nichts weiter als die Summe aller Regeln, die dem Aufrechterhalten und der Stabilisierung einer gegebenen Sozietät dienen; worunter ein Familienverband ebenso verstanden werden kann wie etwa eine Religionsgemeinschaft, ein Briefmarkensammlerverein, ein Sportclub, eine staatliche oder eine überstaatliche Organisation. Diese Definition ist funktional zu verstehen und sagt nichts darüber aus, ob – und wenn ja, welchen – bestimmten Normen und Wertvorstellungen allgemeine Gültigkeit zukommen sollte.

Werte und Normen sind nichts absolut Gegebenes, sie sind wandelbar. Während beispielsweise im England des 19. Jahrhunderts selbst in gebildeten Ständen die Sklaverei als moralisch durchaus vertretbar galt, wird sich heute kaum ein Brite finden, der die Versklavung von Menschen als moralisch korrekt empfindet. Doch selbst im Laufe eines individuellen Lebens können sich Vorstellungen von Moral wandeln. Wer ein bestimmtes Alter erreicht hat und von sich behauptet, in jeder Situation – prinzipiell und ausnahmslos – moralisch richtig gehandelt zu haben, dem ist nicht zu trauen. Der hat wahrscheinlich die sprichwörtliche (wenn nicht gar eine buchstäbliche) Leiche im Keller.