Rezension | 12.01.2009

Die unerschöpfte Theorie


Utz Anhalt: Darwin ist unschuldig

Weiter geht es mit Utz Anhalt, der die Frage stellt, ob Darwins Theorie etwas mit Rassismus zu tun hat und sie mit Hilfe überzeugender Belege verneint. An einer Stelle definiert er allerdings Rassismus als die „Theorie intellektueller Ungleichheit der Menschen“, was problematisch ist, da bloße biologische Gleichheit oder Ungleichheit nichts mit politischer Gleichberechtigung zu tun hat (naturalistischer Fehlschluss!). Gewiss sind Menschen „intellektuell ungleich“ – nicht jeder ist so intelligent wie Albert Einstein. Auch Menschengruppen sind ungleich, so unwichtig das auch sein mag, und es ist sinnlos, sich die Augen zu verbinden und das einfach zu ignorieren. Oder wie es der Komiker Steven Colbert ausdrückt: „Ich sehe keine Rassen. Also kann ich nur vermuten, dass Mormonen schwarz sind.“

Ich schlage vielmehr die Definition vor: „Rassismus ist die Diskriminierung von Individuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschengruppe, die sich in einem natürlichen Merkmal oder mehreren natürlichen Merkmalen von anderen Menschengruppen unterscheidet.“

Es mehren sich wissenschaftliche Studien, laut denen sich bestimmte Menschengruppen zum Beispiel in ihrer Durchschnittsintelligenz unterscheiden, weil Intelligenz ein Selektionsfaktor ist. Politisch ist das bedeutungslos. Vielmehr ist entscheidend, dass keine Diskriminierung aufgrund biologischer Eigenschaften gerechtfertigt werden kann. Ansonsten könnte man genausogut naturgemäß „dickeren“ Menschen den Zutritt zu Wirtshäusern verbieten oder Literaten Zwangssportmaßnahmen ausliefern. Der Grund, warum man das nicht tut, ist nicht jener, dass sie genetisch identisch wären! Ausschlaggebend sind vielmehr die Menschen- und Bürgerrechte.

„Diskriminierung“ im Sinne von „Unterschiedlich-Behandlung“ liegt bereits vor, wenn Frauen bei gleicher Bewertung geringere Leistungen im Sport erbringen müssen als Männer, was aufgrund von biologischen Unterschieden festgelegt wird. Dies gereicht ihnen jedoch zum Vorteil. Insofern kann man feststellen, dass eine „Schlechter-Behandlung“ aufgrund von biologischen Unterschieden ethisch nicht zu rechtfertigen ist, aber eine „Unterschiedlich-Behandlung“ wie in obengenanntem Fall unter Umständen schon. Leider trifft Utz Anhalt solche wichtigen Unterscheidungen nicht.

Wie er im Folgenden ausführt, war das Rassenkonzept der Nazis kein wissenschaftliches Konzept, sondern Ergebnis von „mythologisch-religiöse[n] Vorstellungswelten, die der Evolutionstheorie und damit der Naturwissenschaft der Moderne diamentral gegenüberstanden“ (S. 190). Im Zuge der Argumentation geht er auf Ernst Haeckel ein, der die Naturgesetze vergöttlichte und daraus eine biologistische Ideologie entwickelte. Somit stellt er ein Beispiel dafür dar, warum auch der Pantheismus nicht unbedingt harmloser ist als monotheistische Religionen (vgl. dazu auch die Ausführungen von Sam Harris und von mir). Die Bedeutung frühromantischer Vorstellungen für den Rassismus werden ebenfalls beleuchtet. Ein insgesamt sehr aufschlussreicher Beitrag.


Jürgen Kunz: Die Verhaltensökologie der Religion

Schlusslicht bildet Jürgen Kunz mit seinen Ausführungen über wissenschaftliche Erklärungsansätze der Religion. Dabei geht es nicht nur um Evolution, sondern auch um Psychologie. Die Frage, ob Religion eher von Vorteil oder von Nachteil für die Gesellschaft ist, wird ebenfalls beantwortet. Der Autor ist der Meinung, dass Nachteile und Gefahren der Religion ihre Vorteile überwiegen. Das Hauptproblem in der Vermittlung der Evolutionstheorie sieht er darin, dass sie oft nur gelernt, aber nicht verstanden wird. Der Beitrag ist alles in allem sehr faktenreich und zeigt verschiedene Ansätze für die wissenschaftliche Erklärung der Religion auf.


Fazit

Insgesamt gesehen ist der Sammelband sehr gelungen. Er bietet eine Einführung in die Evolutionstheorie, (größtenteils) wissenschaftliche Auseinandersetzungen über Möglichkeiten und Grenzen der Soziobiologie, sowie Diskussionen über die Gefahr von ID und Kreationismus für die Wissenschaftsvermittlung. Der Band zeigt eindrucksvoll, warum die Evolutionstheorie alles andere als erschöpft ist.


AM

 

(Zuerst veröffentlicht bei hpd.de.)