Mythologie | 19.12.2008

Schöpfungsmythen

„Ein Mythos ist eine sakrale Erzählung, die erklärt, wie die Welt und die Menschheit in ihrer gegenwärtigen Form entstanden sind. Der Mythos ist eine Gattung unter mehreren hundert Gattungen der Folklore.“ Alan Dundes in „Holy Writ as Oral Lit“

 

Die langweilige Theorie

Die grundlegenden Mechanismen der Evolution sind Mutation und natürliche Selektion, zwei Prozesse, die ablaufen wie der Sonnenauf- und der Sonnenuntergang, ohne Helden und ohne Höhepunkt. Ihre Ergebnisse werden erst nach sehr langer Zeit sichtbar, länger als ein Menschenleben. Derart langsam ablaufende Vorgänge empfinden wir als langweilig. Zu allem Überfluss führt das alles zu nichts – die Evolution kennt keinen Zweck und keine Richtung. Der Mensch hätte sich genausogut zu einem anderen Affen entwickeln können, der keine „Gedichte schreibt wie Goethe oder Musik komponiert wie Mozart“ (was die meisten Mitglieder unserer Spezies ja auch nicht tun).

„Es ist beinahe so, als ob das menschliche Gehirn genau dazu geschaffen worden wäre, die Evolution falsch zu verstehen, oder zu meinen, sie wäre schwer zu glauben“, sagte Richard Dawkins einmal dazu. Als Biologen oder Wissenschaftsjournalisten stehen wir vor einem Problem, wenn wir versuchen, eine solche Theorie der Öffentlichkeit zu vermitteln.

 

Die wahre Theorie

Doch wir haben ein Ass im Ärmel: Mythen, die populärste „Alternative“ zur Evolution, sind, wie es der Philosoph Hans Blumenberg ausdrückte, „pure Märchenwelt“. Schöpfungs- oder Ursprungsmythen erzählen Geschichten darüber, wo der Mensch herkommt. Sie sind leicht zu verstehen und sie sind Auftakt eines göttlichen Plans, einer zeitübergreifenden Story, in der wir die Hauptrolle spielen. Einerseits kann die Evolution da nicht mithalten: Sie ist schwer zu verstehen und der Mensch ist bestenfalls eine Randfigur darin. Andererseits hat die Wissenschaft die erklärende Funktion des Mythos übernommen. Mit anderen Worten: Die wissenschaftliche Erklärung ist wahr und der Mythos ist es nicht.

Wie der Neuropsychologe Sam Harris feststellt, glauben Menschen nur dann etwas, wenn sie meinen, gute Gründe für diesen Glauben zu haben. Wenn es uns gelingt, aufzuzeigen, dass diese guten Gründe für den Glauben an eine Schöpfung nicht existieren (wovon wir aus guten Gründen ausgehen), können wir den Startvorteil des Mythos mehr als ausgleichen.

 

Wozu Schöpfung?

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich die Schöpfungsmythen der Menschheitsgeschichte einmal näher anzusehen und dabei vielleicht zu entdecken, woher sie kommen, warum man sie erzählt oder, wie in den allermeisten Fällen, warum man sie einmal erzählt hat. Zu diesem Zwecke scheuen wir ab nächsten Freitag keine Mühen und bieten unseren Lesern regelmäßig eine neue Schöpfung der Welt an.

Gelegentlich werfen wir auch einen Blick auf die Mythenforschung und erkunden, was es mit Mythen auf sich hat und warum sie immernoch so populär sind, obwohl sie sich mit den Fakten nicht vereinbaren lassen.

 

AM