Wissenschaftstheorie | 24.03.2009

Der ontologische Naturalismus ist keine Ideologie

Martin Neukamm: Der ontologische Naturalismus ist keine Ideologie, sondern die Nullhypothese der Naturwissenschaften. Aus: Aufklärung & Kritik 1/2009, S. 94-109


Die Rede vom Kulturkampf - eine Immunisierungsstrategie?

Christian Kummer ist mit dem methodologischen Prinzip, transzendente Faktoren als Gegenstand wissenschaftlicher Modellbildung auszuschließen, im Prinzip einverstanden. Zu Recht kritisiert er in seinem Beitrag die intellektuell fragwürdigen Versuche des Kreationismus, die offenen Fragen hinsichtlich der Entstehung komplexer organischer Strukturen in ein Scheitern der Evolutionstheorie umzudeuten, um an deren Stelle ohne zureichende Begründung einen Schöpfungsakt zu setzen (Fehlschluss des argumentum ad ignorantiam). Doch missfällt ihm in gleichem Maße der "kirchenkämpferische Unterton" der naturwissenschaftlichen "Gegenoffensive", als deren Drahtzieher er die AG Evolutionsbiologie im Biologenverband sowie die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) ausgespäht hat, die einen evolutionären Humanismus vertritt. Anlass zur Kritik gab vor allem eine Monographie (Kutschera 2007), in der zehn Naturwissenschaftler, Ingenieure und Wissenschaftsphilosophen versuchen, den Wildwuchs religiöser Spekulationen einzudämmen, um sich nicht ständig auf biowissenschaftlichem Terrain mit dem Obskurantismus auseinandersetzen zu müssen. So spricht der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Thomas Junker mit Blick auf die von Kardinal Schönborn im Jahr 2005 initiierte Intelligent-Design-Kampagne klare Worte: Nicht nur die Wissenschaftler, so Junker, würden sich glücklich schätzen, dass "… die Kirche gegenwärtig nicht in der Lage ist, die von ihr angestrebte geistige Knechtschaft zu erzwingen." Dieses und einige weitere Bekenntnisse (s.u.) bewogen Kummer zu der Annahme, der Naturalismus wolle "ausdrücklich dem biblisch-christlichen Weltbild den Platz in unserer Kultur streitig machen".

Welchen Versuch, die Ausübung von Religion zu unterbinden, Kummer auch immer vor Augen gehabt haben mag, das Credo ist absurd. Der Naturalismus ist essentieller Bestandteil des philosophischen Hintergrunds der Naturwissenschaften. Da der Kreationismus gerade den wissenschaftlichen Naturalismus torpediert, sind wissenschaftslogische Argumente zu seiner Verteidigung gefordert, an denen gemessen die Glaubensvorstellungen liberaler Christen ebenso zu hinterfragen sind, wie die Glaubensvorgaben der Kreationisten. (Dies hat z.B. auch der Theologe Gerd Lüdemann klar erkannt.) Diese Feststellung ist eine Zustandsbeschreibung ohne normative Komponente. Zwar handelt es sich im Gegensatz dazu beim evolutionären Humanismus um eine Weltanschauung mit einer gesellschaftspolitischen Agenda. Seine Vertreter schreiben sich die Forderung nach Gleichberechtigung von Atheismus und Religion auf die Fahnen, haben doch Atheisten immer noch gegen das Stigma des "Gottlosen" anzukämpfen. Philosophisch aber ist er die naturalistische Alternative zur christlichen Antwort auf die Sinnfrage - ein intellektuelles Angebot, das man annimmt oder nicht. Der moralinsaure Begriff des "Kulturkampfs" weckt dagegen Assoziationen an politische Repressalien gegenüber der Kirche und hat nichts zu schaffen mit dem akademischen Diskurs. Man muss sich daher fragen, was Kummer damit bezweckt. Handelt es sich um den Versuch, an Emotionen zu appellieren, um sich der Notwendigkeit einer stringenten Argumentation zu entledigen? Dieser Eindruck drängt sich auf.


Der Vorwurf der "unberechtigten Ausweitung des naturwissenschaftlichen Erklärungsanspruchs"

Wendet man sich der Argumentation "pro und contra" Naturalismus zu, wird rasch deutlich, wo die Defizite in Kummers Attacke gegen den Naturalismus liegen. Es fängt schon damit an, dass dem Vorwurf der "unberechtigten Ausweitung des naturwissenschaftlichen Erklärungsanspruchs" jede argumentative Rechtfertigung fehlt. Eine Ausweitung des Naturalismus über das naturwissenschaftliche Selbstverständnis hinaus läge ja nur dann vor, würde der Naturalist per se die starke These vertreten, es existiere jenseits der kausal strukturierten Welt kein weiterer Seins-Bereich. In der akademischen Philosophie ist diese These weit verbreitet, doch ist sie deswegen nicht unberechtigt. Obwohl es sich um keine empirische Hypothese handelt, handelt es sich um eine revidierbare Position, die sich, wie wir noch sehen werden, gut argumentativ rechtfertigen lässt. Wie wir eingangs festgestellt haben, genügt für das Betreiben von Naturwissenschaft nun aber der schwache ontologische Naturalismus. Dieser vertritt lediglich die Geschlossenheitsthese, nämlich die für wissenschaftliches Arbeiten methodologisch unabdingbare Annahme, dass für das Verstehen und Erklären der Vorgänge im Kosmos, auch in den höheren Entwicklungsstufen (Leben, Bewusstsein, Erkennen) übernatürliche, teleologische Faktoren nicht gebraucht werden.

Ein so verstandener, weltimmanenter Naturalismus ist im Prinzip mit dem kongruent, was Kummer als "methodischen" oder "methodologischen Naturalismus" bezeichnet, mit einem Unterschied: Es handelt sich nicht einfach nur um eine "Methode" im Sinne einer disponiblen Arbeitshypothese, sondern um eine philosophische Hypothese über die Welt, die universell die wissenschaftlich erforschbaren Seins-Bereiche umschließt. Zwar kann niemand ausschließen, dass z.B. das Prinzip des ex nihilo nihil fit (aus nichts entsteht nichts) in bestimmten Regionen des Universums oder zu einer bestimmten Zeit keine Gültigkeit hat. Sollte sich diese These bestätigen lassen, dann wäre der Naturalismus falsifiziert. Der Wissenschaftler muss aber zunächst immer davon ausgehen, dass alles "mit rechten Dingen" zugeht. Postuliert man transnaturale Wirkungen einfach, zieht man in den Naturwissenschaften willkürlich Erklärungsgrenzen und ist an der Erforschung und Erkenntnis neuer Gesetze und Mechanismen nicht mehr interessiert. Nichts verschaulicht dies deutlicher als die moderne Kosmologie. Entgegen christlicher Tradition muss sie versuchen, Argumente zu finden, um die Entstehung der Welt (bzw. den Urknall) auf natürliche Weise zu erklären - ein anderes Vorgehen wäre heuristisch inakzeptabel und gleichbedeutend mit Erkenntnisverzicht.