Rezension | 20.10.2011

Onfray entzaubert Freud

Darwin-Jahr Bild

Michel Onfray hat in säkularen kreisen einen ausgezeichneten Ruf. Mit seinen Büchern Wir brauchen keinen Gott  und  Die reine Freude am Sein: Wie man ohne Gott glücklich wird hat er sich auch in Deutschland vor allem einen Namen als Religionskritiker gemacht. In Frankreich jedoch ist Onfray noch ungleich prominenter als hierzulande. Dort zählt der Philosoph zur intellektuellen Elite des Landes und zu den populärsten wissenschaftlichen Autoren. Onfray neuestes Buch beschäftigt sich nun auf den ersten Blick nicht mehr mit dem Thema Religion, sondern mit einer vermeintlich wissenschaftlichen Disziplin: der Psychoanalyse und ihrem Begründer dem Wiener Nervenarzt Sigmund Freud.

In Frankreich hatte Onfrays Buch bereits kurz nach Erscheinen eine heftige Debatte ausgelöst. Psychoanalytiker sowie Freud Fans fühlten sich verunglimpft und protestierten in aller Schärfe gegen das Buch. In Deutschland dagegen hat das Werk bislang keine nennenswerte Debatte ausgelöst. Das überrascht, denn auch in der Bundesrepublik gilt Freud noch als angesehener Wissenschaftler und die von ihm begründete Psychoanalyse steht immer noch hoch im Kurs und gilt in der Bevölkerung als Wissenschaft.

Onfray dagegen geht mit Freud hart ins Gericht und lässt an seinem Werk kaum ein gutes Haar. Sein Hauptvorwurf lautet dabei, dass Freud seine eigenen psychischen Probleme lediglich auf andere übertragen habe. Weil er also selbst einen „Ödipus Komplex“ bei sich erkannte, mussten auch andere einen solchen haben. Weil er selbst inzestuöse Neigungen verspürte, wollte er diese also auch bei seinen Patienten erkennen. Tatsächlich kann Onfray plausibel machen, dass das, was Freud wissenschaftlich nannte, aus heutiger Sicht wissenschaftlichen Kriterien nicht im Ansatz genügt. Insbesondere die Briefe von Freud an seinen Freund Wilhelm Fließ lassen Freud auch generell in keinem guten Licht erscheinen. Mitunter stehen darin auch hanebüchene Spekulationen, die aber beide für Wissenschaft halten und die Onfray nun in seinem Buch an die Öffentlichkeit zerrt. 
 
Völlig neu ist die von Onfray dargelegte Kritik an Freud übrigens nicht, in der wissenschaftlich arbeitenden Psychologie gilt sein Werk schon lange als überholt, auch wenn dies im Allgemeinen in der Bevölkerung und auch bei vielen Psychoanalytikern noch nicht angekommen ist. Dennoch hat Onfrays Buch seine Berechtigung, denn mit soviel Vehemenz ist die Kritik an Freud noch nicht formuliert worden. Nach der Lektüre wird übrigens auch klar, dass Onfray dem Thema Religion in gewisser Weise treu geblieben ist, denn von einer Religion sind viele Lehren der Psychoanalyse nicht weit entfernt.

Eine Buchbesprechung von Frank Welker zum Buch:

Michel Onfray: Anti Freud, Albrecht Knaus Verlag, 978-3813504088