Genetik | 23.01.2009

Natur oder Kultur?

Affenmensch

Diesmal geht es in Axel Meyers "Quantensprung"-Kolumne aus dem Handelsblatt um die Frage, was den Menschen ausmacht: Eher seine Gene oder seine Umwelt?

 

Die Debatte um die relative Macht von Genen und Kultur ist ein Dauerthema der Wissenschaft, auch hier am Wissenschaftskolleg in Berlin. Mehr oder weniger explizit wird in Seminaren und am Mittagstisch diskutiert, was das Verhalten des Menschen stärker steuert.

Am Wissenschaftskolleg treffen Vertreter zweier sehr unterschiedlicher Perspektiven und Denkwelten aufeinander. Schließlich leben hier zwei Typen von Wissenschaftlern zusammen, die sich sonst meist nur in der Universitätsmensa oder in Kommissionen treffen und sich oft mit Verwunderung und Staunen, aber nur selten mit Verständnis begegnen.

Da sind einerseits die, die den Geist allein mit dem Geist studieren, und andererseits die, die die Natur erforschen – oft mit komplizierten Maschinen – und sich üblicherweise weniger Gedanken darüber machen, was dies für ihre Mitmenschen bedeutet. Typischerweise glauben die Ersteren an die Kraft der Kultur und die Letzteren an die Macht der Gene.

Der Kampf um diese Frage tobt schon lange. Früher stand auf der einen Seite die eher amerikanische Denkschule der vergleichenden Psychologen, die wie B. F. Skinner an Tauben oder Ratten forschten und glaubten, damit nicht nur Tauben oder Ratten zu verstehen, sondern alle Tiere, inklusive des Menschen. Sie glaubten an „Nurture“, also den Einfluss der Umgebung. Auf der anderen Seite gab es die von Europäern dominierte Schule um Konrad Lorenz und Niko Tinbergen, die angeborenem Verhalten und Instinkten größeren Einfluss zusprachen. „Nature“, die Macht der Abstammung und der Gene, war die europäischere Sichtweise.

Heute lässt sich die genetische Basis vieler Verhaltensweisen besser beweisen. Sogar von Genen für Religiosität ist mittlerweile die Rede – und niemand scheint sich mehr zu wundern. Interessanterweise kommen viele dieser „Nature“-
Befürworter heute aus den USA und nicht, wie ihre intellektuellen Vorfahren, aus Europa.

Das Genom des Menschen wie das der meisten Tiere besteht nur zu einem geringen Teil aus „richtigen“ Genen, also Teilen, die in Proteine übersetzt werden. Die Funktion des Großteils – etwa 95 Prozent – unseres genetischen Materials
ist bisher wenig verstanden. In einem Fernsehinterview letzte Woche sagte in diesem Zusammenhang der erfolgreiche Darwinbuchautor und promovierte Biochemiker Jürgen Neffe etwas sehr Merkwürdiges. Herr Neffe erklärte richtig, dass nur etwa fünf Prozent unseres Genoms Gene sind. Deshalb sei das menschliche Verhalten zu 95 Prozent kulturell
bestimmt. Wie kommt er darauf? Das habe ich nicht verstanden. Ich würde wetten, dass er da die Kraft der Kultur weit überschätzt.

Axel Meyer