Gastbeitrag | 10.06.2010
Aufklärung
In der Berufung auf das „Jenseits“ liegt die Wurzel der klassischen Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche. Die Wiederherstellung des Machtanspruchs ist auch das verdeckte Ziel der von Rom schon unter Papst Johannes Paul II. (1920–2005; Papst ab 1978) ausgerufenen „Re-Evangelisierung“ Europas. Hier liegt auch der Grund, warum die Mär vom Urknall von der Kurie als Erklärungsmodell der Weltentstehung nicht bekämpft wird.
Ursprünglich galten wissenschaftliche Erkenntnisse als gegen die Allmacht Gottes gerichtet (siehe Giordano Bruno und Galileo Galilei). Die Re-Evangelisierung des säkularen Europa (fortgeführt von Papst Benedikt XVI.; geb. 1927, Papst seit 2005) soll in einer „Abklärung“ münden, also die Vorherrschaft des rationalen Denkens in Europa brechen und die Menschen von ihrem modernen Allmachtswahn („Anything goes“) wieder herunterholen.
Ob das aufgehen kann, ist eine delikate Frage. Niemand kann künstlich naiv sein: Wenn man nicht mehr an das Christkind glaubt, verliert Weihnachten seinen Reiz – erhält aber andere Dimensionen. Wenn durch eine Reihe von bestens abgesicherten Theorien klargeworden ist, daß die Welt nicht mechanistisch abläuft und auch nicht abhängig ist vom Willen oder der Willkür eines Gottes – dann kann man einen solchen Aufgeklärten nicht mehr abklären und quasi ins Paradies zurückholen. Mit unserer Vertreibung daraus sind wir mündig und eigenverantwortlich geworden – mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis (Gen 3, 1–7 ) haben wir ebendiese erhalten und können nun einmal unterscheiden zwischen Gut und Böse.
Der Engel mit dem Flammenschwert, der von Gott vor dem Eingang ins Paradies aufgestellt wurde (Gen 3, 24) und seither den Menschen die Rückkehr zum „Baum des Lebens“1 verweigert, ist ein wunderbares Bild für dieses Mündig-Gewordensein des Menschen. Wer einmal die Mühen der Ebene durchmessen hat (Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot verzehren ... Gen 3, 19), der kann sich nicht mehr zurücklehnen und warten, daß der „himmlische Vater“ für einen sorgt.
Walter Weiss