Presseschau | 17.09.2009

Mutationen und neue Arten

 

Evolution zur Staatsreligion?

In der Theologie gibt es gerade den Trend, der Religion allgemein oder einer bestimmten Religion speziell einen evolutionären Vorteil zuzusprechen und sie damit zu rechtfertigen. Ein paar atheistische Evolutionsbiologen wie David Sloan Wilson machen auch freudig mit.

Diesmal bemüht ein Kirchenhistoriker die Evolution, um anhand der Ausbreitung des Christentums im römischen Reich zu belegen, wie „fit“ und superklasse das Christentum sei. Zunächst einmal lässt sich dazu sagen, dass „Fitness“ an sich weder gut noch schlecht ist. Überbevölkerung würden wir auch nicht positiv bewerten. Fitness meint einfach die Erzeugung fruchtbarer Nachkommen. Eine Idee jedoch, wie das Christentum, kann keine „fruchtbaren Nachkommen“ erzeugen. Lebewesen erzeugen Nachkommen.

Aktuell gibt es zwei Ansätze, die sich angesichts der Faktenlage noch halten lassen: Religiosität als Nebenprodukt, welches dazu dient, durch Zivilisationskrankheiten ausgelöste persönliche Anspannung zu reduzieren und Religiosität als Adaption mit der speziellen Funktion eines Bewältigungsmechanismus, ebenfalls zum Ausgleich persönlicher Unsicherheit.

Dieser Kirchenhistoriker argumentiert jedoch: „Aufgrund der religiös motivierten Krankenpflege dürfte die Mortalität unter den Christen niedriger gewesen sein als bei den Nichtchristen“. Ja, und? Selbst wenn Christen vor 1500 Jahren die einzigen Menschen gewesen sind, die Kranke pflegten (völliger Quatsch!), dann ergäbe diese Argumentation nur Sinn, wenn man davon ausginge, dass das Christentum genetische Grundlagen hat, die sich evolutionär durchsetzten. Adaptionen setzen sich aber erst über einen erheblich längeren Zeitraum als läppische 1500 Jahre durch.

Außerdem impliziert dieses Argument, dass sich Gläubige von Atheisten und Andersgläubigen biologisch unterscheiden. Und zwar fundamental: Atheisten und Andersgläubige pflegen von Natur aus keine Kranken und sind völlig selbstsüchtig, darum setzen sie sich evolutionär nicht durch. Ich denke nicht, dass diesem Kirchenhistoriker klar ist, was er da für Thesen verbreitet (er macht einen liberalen Eindruck, also ist es ihm gewiss nicht klar). Diese Argumentation läuft nämlich darauf hinaus, dass Atheisten und andere Nicht-Christen einer minderwertigen Rasse angehören. Nicht nur darum würde ich Theologen empfehlen, ihre „Religion ist super wegen der Evolution“-Linie sofort einzustellen.

Das Argument, Religion biete ein soziales Netz und erhöhe deshalb die Fitness ihrer Anhänger, wird zwar auch von einigen Biologen vertreten, geht aber 1. von der zweifelhaften Gruppenselektion aus und 2. ignoriert sämtliche Studien zur Religiosität aus der Psychologie, die aufzeigen, dass Religiosität im Sinne des Glaubens an einen allguten, kontrollierenden Gott auf individualpsychologischer Ebene ein Bewältigungsmechanismus ist, um die persönliche Sicherheit wiederherzustellen (siehe meine Artikel zum Thema). Wenn Religiosität adaptiv ist, dann gilt das nicht für bestimmte Religionen im Gegensatz zu anderen (Ideen werden nicht genetisch vererbt!). Wenn also Christen mehr Kinder haben sollten als die Anhänger bestimmter anderer Religionen, dann liegt das an Glaubensinhalten, wie etwa jenem, dass Kindermachen ein Befehl Gottes sei. Die Shaker zum Beispiel sind „ausgestorben“, weil sie ihren (kulturellen) Glaubensinhalten zufolge kinderlos leben sollten.

Die Behauptung, das Christentum wäre der römischen Kultur erheblich überlegen gewesen, ist derweil absurd. Das Christentum war überhaupt erst verantwortlich für den Verfall des römischen Reiches und für eine gigantische Kulturvernichtung, welche fast die gesamte antike Kultur zerstörte und sie beinahe aus den Geschichtsbüchern fegte. Das Christentum ist nicht wegen der biologischen Überlegenheit seiner Anhänger zur Staatsreligion evolviert (was für ein Argument!), sondern weil es von dem fanatischen Kaiser Theodosius dazu erklärt wurde. Dazu ein Zitat aus dem oben verlinkten Artikel von dem Historiker Rolf Bergmeier:

„In einer unheildrohenden Alliance greifen Kaiser und Kirche zu allen erdenklichen Mitteln, um heidnische und häretische Bücher, Bilder, Statuen und Gebräuche in den Kynegion zu verbannen, jenem Ort "wohin die Leiber der Hingerichteten geworfen wurden". Es gelte, so der machtbewußte Mailänder Bischof Ambrosius, "die gottschänderischen Verirrungen abzuschaffen, die Tempel zu schließen, die Götzenbilder zu vernichten". Mit dieser gezielten, breit angelegten Zerstörung soll die Tradition der polytheistischen Kulte unterbrochen, die bekämpfte Konkurrenz einzelgestellt, die sie tragende Kultur zerstört und somit mehr Raum für die grundlegend neue Heilsbotschaft geschaffen werden. Es ist ein Vernichtungsfeldzug.“