Philosophie | 22.09.2010

Der Menschenwürde-Wahn

Norbert Hoerster

Am 19. September hielt der Philosoph Norbert Hoerster einen Vortrag zum Thema „Menschenwürde und das Recht auf Leben“ im Rahmen des „philosophischen Frühstücks“ des HVD Nürnberg. Er argumentierte, dass die Menschenwürde verzichtbar sei und vielmehr individuelle Rechte zählen würden.

 

Wir werden in einer pluralistischen Gesellschaft keinen moralischen Konsens erreichen. Darum hat sich Hoerster auf die rechtsethische Fragestellung konzentriert, welche lautet: Wäre ein strafrechliches Verbot (z.B. von Abtreibung) intersubjektiv nachvollziehbar?

 

Das Geschwätz von der Würde

Ähnlich wie der Biophilosoph Edgar Dahl argumentiert auch Norbert Hoerster, dass der Begriff der „Menschenwürde“ eine Leerformel sei, für die keine klare Definition existiere und die als rein normative Pseudo-Legitimation für moralische Vorstellungen diene, welche bereits feststehen. Der Begriff hat, ähnlich wie „verwerflich“, keinen deskriptiven Gehalt. Es gibt nichts Konkretes, was er beschreiben würde.

Als Beispiel nennt Hoerster, dass der katholische Bischof von Würzburg einst argumentierte, die Sonntagsarbeit widerspreche der Menschenwürde. Ein weiteres Beispiel: Laut einem Gerichtsurteil verstößt eine Peepshow gegen die Menschenwürde, Prostition jedoch nicht. Offenbar kann man mit Prostituierten in einen herrschaftsfreien Diskurs treten, mit einer Stripperin hinter einer Glasscheibe eher weniger. 

 

Darf man Menschen instrumentalisieren?

Laut Kant widerspricht eine Instrumentalisierung von Menschen ihrer Würde, also der Gebrauch von Menschen als ein reines Mittel zur Erreichung eines fremden Ziels. Hoerster nennt das Gegenbeispiel, dass man in einer Notlage ein Handy benötigen könnte, um den Notarzt zu rufen, um so jemandem das Leben zu retten. Wenn die einzige Passantin in der Nähe ihr Handy nicht rausrücken und nicht selbst den Notarzt rufen möchte, darf man ihr das Handy wegnehmen, oder verletzt man damit ihre Würde?

Kant zufolge ist die Menschenwürde der eigenen Person verletzbar, was der Willkür alle Türen öffnet. Kant nutzte die Argumentation, um das Verbot der Homosexualität und von außerehelichem Sex zu verteidigen. Beide widersprechen angeblich der Menschenwürde der beteiligten Personen. Zudem war Kant auch für die Todesstrafe, welche offenbar nicht gegen die Menschenwürde verstößt. Aus Hoersters Perspektive spricht gegen die Todesstrafe, dass man einen Justizirrtum nicht mehr gutmachen könnte und dass keine hinreichenden Belege für eine erhöhte Abschreckungswirkung existierten.