Rezension | 16.12.2008

Kooperative oder egoistische Gene?

Axel Meyer rezensiert "Das kooperative Gen" von Joachim Bauer

Das kooperative Gen

Einige Individuen haben mehr Nachkommen als andere und so werden deren Gene in höherer Frequenz in der nächsten Generation repräsentiert sein als die Gene der weniger erfolgreichen Reproduzierer. Gene sollten also "egoistischerweise" versuchen den Organismus, der ihnen dabei hilft, dahingehend zu gestalten, dass dies auch in ihrem Sinne so passiert. Dabei arbeiten sie manchmal zusammen mit anderen Genen und manchmal auch nicht. Soweit so klar, oder?

Scheinbar nicht, denn nun erschien ein Buch eines Freiburger Mediziners, Joachim Bauer, in dem er unbescheiden im Untertitel den „Abschied vom Darwinismus“ fordert. Darwin und Richard Dawkins sind die Hauptzielscheiben in Bauers Buch. Der Titel des Buches lehnt sich an an den Klassiker von Dawkins „The selfish gene“, das 1978 in Deutsch übersetzt als „Das egoistische Gen“ erschien. Bauer, um es gleich vorwegzunehmen, hat keine Ahnung von Evolutionsbiologie und postuliert wirres Zeug über Umweltkatastrophen, die dann den kooperativen Umbau des Genom zur Folge hätten, was dann den Arten verhilft, sich anzupassen oder Neue entstehen zu lassen. Dies Gerede ist bar jeglicher wissenschaftlicher Evidenz. Was nicht verwundert, denn Bauer selbst ist bisher eher durch populärwissenschaftliche, psychosomatisch angehauchte Bücher im „Brigitte-Psychologie“ Stil und Niveau aufgefallen. Wohl um sich mehr wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu erhoffen, wurde – peinlicherweise – am Ende dieses Buches eine Liste seiner Publikationen angehängt. Freilich haben die mit Evolution nur sehr wenig zu tun.

Charles Darwin lag bekanntlich in dem von ihm favorisierten Mechanismus der Weitergabe von Merkmalen von einer Generation zur nächsten daneben – ähnlich wie Bauer schien er zeitweise an lamarkistische Mechanismen zu glauben. Es scheint mir aber unfair, im Darwin-Jahr auf den Fehlern eines 150 Jahre alten Buches herumzureiten, das in so vieler Hinsicht so wichtig war und richtig lag. Darwin verzweifelte an seinem Unverständnis des altruistischen Verhaltens von sozialen Insekten, weil es seiner Theorie der Individualselektion zu widersprechen schien. Erst W.D. Hamilton hat dies einhundert Jahre später mit Verwandtschaftsselektion und dem besonderen Vererbungsmechanismus dieser Insekten erklären können.

Die Arbeiterinnen eines Ameisenstaates verhalten sich nur scheinbar altruistisch, sie tun aber durch Fortpflanzungsverzicht wegen ihrer besonders engen Verwandtschaft zu Königin mehr zur Weitergabe ihrer Gene, als wenn sie sich selber reproduzieren würden. Bauers Thesen von Kooperativität, Kommunikation und Kreativität, werden wissenschaftlich nicht erklärt und zeigen allein tiefstes Unverständnis und oberflächlich angelesenes Halbwissen. Um seine D&D-Gegner zu diskreditieren, scheut er sich sogar nicht, falsch, nämlich ungeachtet des Kontextes, zu zitieren.

Dies ist alles dumm genug, um es beflissentlich zu ignorieren und Herrn Bauer einen guten Mann sein zu lassen. Aber, und dies ist auch der eigentliche Grund dieser Kolumne: Dieser Nonsens – mittlerweile ein Bestseller – wird in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen auch noch wohlwollend besprochen! Die Ressortleiter schicken für solche Jobs wohl gerne die jungen Praktikant/Innen vor, denen es vielleicht an wissenschaftlicher Bildung oder Zivilcourage noch eher mangelt.

Herr Bauer würde in meiner Klausur in Evolutionsbiologie jedenfalls sicherlich durchfallen, denn mit Wissenschaft hat das alles herzlich wenig zu tun.

Axel Meyer