Rezension | 05.12.2008

Konzepte der Biologie

Rüdiger Vaas rezensiert "Konzepte der Biologie" von Ernst Mayr.

 

Das Buch

Der aus Deutschland stammende Zoologe war bis zu seiner Emeritierung 1975 Professor an der Harvard University und Direktor am Museum of Comparative Zoology. Er hat mehr als 700 Fachpublikationen und über 20 Bücher verfasst und wurde mehrfach "Darwin des 20. Jahrhunderts" genannt. Anlässlich seines 100. Geburtstags hat er, quasi als eigene "Festschrift", noch einmal eine Sammlung von aktualisierten und neuen Essays veröffentlicht. Themen sind die Geschichte der Evolutionstheorie (oder eigentlich von Darwins fünf Theorien, wie Mayr ausführt), die Beiträge der Philosophie zur Biologie und umgekehrt, die Autonomie der Biologie, zentrale Begriffe und ihre Probleme sowie anthropologische Aspekten und die Frage nach außerirdischem Leben.

Von Susanne Warmuth exzellent übersetzt sind die Essays nun auch auf deutsch erschienen und bestechen durch ihre vorbildliche gedankliche und stilistische Klarheit und Eleganz. Das Buch ist ein intellektueller Genuss, leicht lesbar und doch nicht oberflächlich oder populistisch. Biologen, Philosophen und Wissenschaftshistoriker werden es mit großem Gewinn lesen – und sollten das auch tun –, ebenso aber jeder Laie, der sich für konzeptuelle und historische Fragen der Biologie allgemein und der Evolutionstheorie im Besonderen interessiert. Zum einen gibt es kaum ein spannenderes, faszinierenderes Thema, zum anderen aber sind noch immer viele Missverständnisse und auch echte offene Fragen mit der biologischen Evolution verbunden. Und zwar sowohl konzeptuell wie auch inhaltlich.

So wird nach wie vor kontrovers diskutiert, was genau der Gegenstand der Selektion ist (Art, Population, Gruppe, „extended phenotype“, Individuum, Genfrequenzen, Gen). Die grundlegenden Begriffe „Art“ und „Anpassung“ sind ebenfalls umstritten (gerade auf den Artbegriff kommt Mayr, der hierzu wichtige Beiträge geleistet hat, wieder und wieder zurück). Die Mechanismen der Artbildung sind noch nicht vollständig bekannt, von den Antworten auf zahlreiche Einzelfragen ganz abgesehen (etwa die genetischen Ursachen der Artbildung, die Bedeutung der nichtcodierenden DNA und der Neutralmutationen).

Sicherlich ist auch Mayrs Buch hier nicht das letzte Wort. Er selbst räumt frühere Fehler ein und weist auf verbleibende Schwierigkeiten hin. Und bedauert, dass er nicht dabei sein kann, sich „an den zukünftigen Entdeckungen zu erfreuen“. Auch sind einige aktuelle Debatten unterrepräsentiert, etwa Aspekte der Soziobiologie oder der Genetik, und manche Begriffe („Reduktion“ und „Reduktionismus“, „Naturgesetz“, „Determinismus“, „Zufall“) verwendet Mayr so unscharf, dass seine im Prinzip durchaus berechtigte Kritik an bestimmten wissenschaftstheoretischen Positionen zu undifferenziert und mitunter etwas unfair ausfällt.

Das ändert aber nichts an der Wichtigkeit seiner generellen Stoßrichtung, die Biologie als autonome und besondere Wissenschaft gegen falsche physikalistische und auch metaphysische Vereinnahmungsversuche zu verteidigen. Gerade ihr geschichtlicher Aspekt – und somit die Rolle der Randbedingungen – ist hier entscheidend, ebenso die Einzigartigkeit jedes Organismus. Beides ist noch viel zu wenig reflektiert worden. Auch Mayrs Analysen der „Teleologie“ sollten breite Berücksichtigung finden. Das Buch ist also weit mehr als eine Reminiszenz oder das Statement eines alten Mannes. Bücher einer solchen intellektuellen Brillanz findet man selten.

Rüdiger Vaas

 

Hirzel, Stuttgart. 247 S. Preis: 32,00 €. ISBN: 9783777613727

Diese Rezension ist zuerst erschienen in: Universitas Bd. 61, Nr. 725, S. 1186-1188 (11/2006).