Vorwort | 27.07.2009
Für diese aufgespaltenen Populationen oder Gruppen, die ähnlichen Habitatbedingungen folgen, wie sie zu Beginn am Ausgangspunkt geherrscht haben, wäre der Druck zur Veränderung minimal im Vergleich zu den Individuen, die gezwungenermassen zurückbleiben oder unterwegs untergehen, wo Veränderungen stattfanden, die größte vielleicht gleich zu Beginn am Entstehungsort. Dies bedeutet, die zurückgebliebene Population muss mit den einschneidenden, vielleicht kritischen Umweltveränderungen (z.B. Temperaturerhöhungen) Schritt halten und sich größten Anpassungen unterwerfen, um zu überleben. Wenn also am Entstehungsort noch Nachkommen der Original population existieren, würden sich diese im Lauf der Zeit am stärksten von ihren Vorfahren unterscheiden, während die abgewanderten sich vergleichsweise wenig verändern würden. Bei Meeresbewohnern hat dies oft zu distinkten Artenkomplexen geführt, die geographisch weit verteilt sein können. Dabei sind sich die Arten der am weitesten voneinander entfernten Populationen am ähnlichsten, die am zentralen Entstehungsort ähneln sich am wenigsten. Waren die Veränderungen jedoch schneller als die Anpassungen, gibt es am Entstehungsort gar keine Nachkommen mehr, und man findet sehr ähnliche Arten in weit auseinander liegenden Gebieten. Je jünger die Trennungen, desto ähnlicher und geographisch näher sind sich die Arten. Manchmal überlappen sich die Verbreitungsgebiete früher getrennter Populationen. Dort können Hybriden auftreten (Kreuzungen zwischen echten Arten sind allerdings meist steril), was eine systematische Klassifizierung verwirren und sehr erschweren kann. Da Evolution ein fortschreitender Prozess ist, können sich manche Populationen gerade erst trennen, aber immer noch Gene austauschen, wenn sich ihre Verbreitungsgebiete noch überlappen. Resultat könnte sein: eine Art verändert sich innerhalb eines kontinuierlichen Verbreitungsgebiets, z.B. wenn in diesem ein Temperaturgradient in Nord-Süd-Richtung existiert. In warmen Gewässern entwickeln sich Arten meist schneller, sie können sich das ganze Jahr über fortpflanzen. In kalten Gewässern dagegen verläuft die Artentstehung langsam, Nachwuchs gibt es nur einmal pro Jahr. Vergleicht man eine nördliche Population mit einer südlichen, können die Unterschiede so groß sein wie bei als 'gut' oder 'echt' akzeptierten Arten. Derartige Populationen können allerdings nicht unterschieden werden, wenn es im gesamten Verbreitungsgebiet keine Trennungslinie gibt und sich alle mit ihren Nachbarn vermischen können.
Als Menschen schauen wir tatsächlich nur in Momentaufnahmen auf die Formen des Lebens. Für unsere Zwecke haben wir aber ein System - die Taxonomie - geschaffen, um Ordnung in die vielfältigen Formen zu bringen. Ähnliche, nahe verwandte Formen werden Arten genannt. Ähnliche, nahe verwandte Arten werden in einer Gattung zusammengefasst. Mit zunehmender Verschiedenheit werden sie in zunehmend höheren Einheiten zusammengefasst. Dieser Trend setzt sich fort in Klassen und Stämmen bis hin zum Lebensbaum, der alle Lebensformen enthält und eigentlich eine Art Zeitmaschine ist, die einen Blick zurück auf den Anfang gestattet, so als wenn man den Verästelungen eines Baumes von den zahllosen Blättern zurück zum einzigen Stamm folgt.
Die Natur jedoch kennt kein Schubladendenken, diese Einteilung dient nur uns Menschen. Die Abgrenzung der unterschiedlichen Ebenen, Arten oder höheren Taxa ist ein allgemeines Problem der Systematiker oder Taxonomen. Manchmal erkennt der Mensch die Unterschiede nicht, die Taxa verändern sich mit der Zeit, und das Einsortieren mehr oder weniger verschiedener Formen kann sich als schwierig, wenn nicht unmöglich erweisen.