Evomagazin im Gespräch | 27.05.2011

Interview mit Stefan Schneckenburger zur Evolution der Pflanzen

Darwin-Jahr Bild

Stefan Schneckenburger ist seit 1994  Leiter des Botanischen Gartens der Technischen Universität Darmstadt und seit 2009 Präsident des Verbands Botanischer Gärten sowie Mitglied im AK Evobio im VBio. Im Interview beantwortet er spannende Fragen zu seinem Beruf, zur Gentechnik und zur Evolution der Pflanzen.

Evomagazin: Sie sind Leiter des Botanischen Garten der Technischen Universität Darmstadt. Welche Aufgaben zeichnen einen solchen Beruf denn aus?

 


Tor des Botanischen Gartens aus dem 19. JahrhundertStefan Schneckenburger: Ich kann mir kaum einen schöneren vorstellen – besonders auch im Hinblick auf das lebenslange Lernen und das Privileg, immer wieder etwas Neues entdecken und beobachten zu dürfen. Wir, das Gartenteam (etwa 15 Gärtnerinnen und Gärtner und ich) kultivieren und betreuen über 8000 Pflanzenarten – da findet man immer etwas Unbekanntes. In einem universitären Garten habe auch ich die Möglichkeit, zu lehren und auf diese Weise jungen und interessierten Menschen etwas beibringen zu können, mich mit ihnen auszutauschen und von ihnen gefordert zu werden – irgendwie muss ich eine Schulmeisterseele haben.
Man braucht zunächst einmal eine doch recht klassische Ausbildung in Botanik: Kenntnis von Pflanzen, ihren Lebensräumen, ihre Verwandtschaft, ihre Anforderungen etc. Sehr vermisse ich eine gärtnerische Ausbildung, aber da habe ich in den fast 25 Jahren in Botanischen Gärten schon einiges gelernt.

Die Aufgaben reichen von der Ausgestaltung einer Sammlungs- und Präsentationskonzeption,  Aufbau von Erhaltungskulturen und Schutzsammlung, Lehre, Betreuung von Studenten, Bildungsarbeit für die breite Öffentlichkeit und die Beantwortung zahlreicher Anfragen: „Mein Papagei hat eben ein grünes Blatt (von welcher Pflanze ????) gefressen – wenn der mir nun vom Stängelchen fällt!“ – „Während meines Urlaubs in XY habe ich Reihe von Pflanzen fotografiert und bitte um deren Bestimmung – jpg-Dateien anbei.“ Daneben bin ich Geschäftsführer unseres Förderkreises und derzeit Präsident des Verbands Botanischer Gärten. Ein paar Stunden mehr könnte ein Tag – gerade jetzt in der Saison – schon haben!

Evomagazin:
Den botanischen Garten in Darmstadt gibt es ja bereits seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Was waren die Beweggründe für die Gründung solcher Gärten?

Stefan Schneckenburger:
Das kann man überhaupt nicht über einen einzigen Kamm scheren: viele Botanische Gärten stehen in der Tradition der Klostergärten des Mittelalters, die der Anzucht von Heilpflanzen, Experimenten mit ihnen sowie der Ausbildung der Mediziner- und Apothekermönche dienten –sehr gut kann man das in Umberto Ecos „Name der Rose“ nachlesen. Derartige Gärten wurden dann den Universitäten angegliedert bzw. in ähnlicher Weise von den Universitäten neu gegründet und dienten Forschung und Lehre. Später kamen dann die Pflanzen neu entdeckter Länder und Kontinente dazu, die z.B. auf ihre Nutzungsmöglichkeiten untersucht wurden.

Der Darmstädter Botanische Garten nahm seinen Ausgang von einem Demonstrationsgarten für die Bevölkerung von Darmstadt und seiner Umgebung. Man konnte sich bei der ersten Anlage im trocken gelegten Graben des zentral gelegenen Schloss der Herzöge von Hessen-Darmstadt über den Anbau von Nutzpflanzen informieren. Später wurde er bei deren Gründung der Technischen Hochschule (heute Technischen Universität) angegliedert.

Einen enormen Aufschwang nahmen einige Gärten in der Kolonialzeit zwischen 1840 und 1900 , wo sie als „Trittsteine“ im interkontinentalen Nutzpflanzentransfer dienten – große Räder im Big Business der damaligen Zeit.

Evomagazin: Wenn von Evolution die Rede ist, dann denken die meisten Menschen an Tiere aber weniger an Pflanzen. Wie kann man denn vermitteln, dass auch die Evolution der Pflanzenwelt spannend ist?

Dracula vampira Stefan Schneckenburger: Ja, klar! Ganz besonders gilt dies für die Blütenbiologie – die Anpassung von Blüten an die diversen Pollenüberträger wie Wind, Insekten, Vögel oder Fledermäuse. Hier kann man auch das Phänomen der Coevolution beobachten: die Evolution von Tieren und den von ihnen bestäubten Pflanzen geht gewissermaßen Hand in Hand. Das kann dazu führen, dass in besonderen Fällen die Stammbäume der Pflanzengruppe (z.B. von Feigen- oder Yuccaarten) spiegelbildlich denen ihrer Bestäuber sind. Klarer Fall auch in der Botanik: keine Argumente für „Pseudoscience“ wie Kreationismus oder Intelligent Design!

Evomagazin: Bei Tieren ist uns bekannt, dass Selektion entscheidend ist für die evolutionäre Entwicklung. Gilt dieses Prinzip auch für Pflanzen?

Stefan Schneckenburger:
Das Selektionsprinzip gilt für die gesamte belebte Natur. Bei Pflanzen kommt dazu, dass wahrscheinlich epigenetische Phänomene eine wichtige Rolle spielen: das hat Linné, der „Vater der wissenschaftlichen Botanik, schon im 18. Jahrhundert beobachtet; erst vor einigen Jahren ist man dem Problem genetisch identischer, durch unterschiedlich „angeschaltete“ bzw. „stillgelegte“ Gene verursachten sehr verschiedenen Formen (z.B. beim Gemeinen Löwenmäulchen) auf die Spur gekommen. Da sind in den nächsten Jahren gerade bei Pflanzen und ihrer flexiblen Reaktion auf sich verändernde Umweltbedingungen noch spannende Ergebnisse zu erwarten.