Wissenschaft und Religion | 17.03.2009

Der halbierte Darwin

Hätte sich Gott als Dino inkarniert?

Michael Schmidt-Salomon analysiert in dieser Replik auf Reinhold Leinfelders Blogbeitrag den prinzipiellen Widerspruch zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben und erklärt, warum eine Bagatellisierung der Evolutionstheorie, so verlockend sie auch erscheinen mag, intellektuell unredlich ist.

 

Große Ideen laden zu großem Missbrauch ein. Dies lässt sich nicht zuletzt an Darwins Evolutionstheorie aufzeigen, die immer wieder missbraucht wurde, um soziale Ungerechtigkeit, ja sogar rassistisch motivierte Massenmorde zu legitimieren. Hat man die Geschichte dieser Instrumentalisierung im Blick, mag es verständlich erscheinen, dass manche Wissenschaftler und Philosophen eifrig bemüht sind, die gesellschaftliche Relevanz der Evolutionstheorie herunterspielen. Allerdings leisten sie mit ihrer Bagatellisierung der Evolutionstheorie dem Projekt der Aufklärung einen Bärendienst.

Wie weit das Streben nach einer „Entdarwinisierung“ Darwins gehen kann, zeigte ein Evolutions-Kongress, der Anfang März an der päpstlichen Universität Gregoriana stattfand. Finanziert von der religiös ausgerichteten Tempelton Foundation trafen in Rom renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Theologen zusammen, um die Bedeutung der Evolutionstheorie zu ergründen. In den Medien wurde als zentrales Ergebnis der Tagung gefeiert, dass sich der Vatikan nun offenkundig sehr entschieden vom Kreationismus abgegrenzt und Evolution als Tatsache anerkannt habe. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß erklärte im Spiegelonline-Interview sogar, dass sich auf dem Kongress „kein richtiger Disput“ zwischen Evolutionsbiologen und Theologen entwickelt habe. Dies habe einen guten Grund, meinte Mittelstraß, denn die Kirche müsse mit „Darwin nicht ihren Frieden machen – sie hat sich nie im Kriegszustand mit ihm befunden“. Und das sei nach Ansicht des Philosophen auch vernünftig, denn: „Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Welt zu erklären – Aufgabe des Glaubens, das menschliche Leben zu stabilisieren und zu orientieren.“

 

Die Kirche hat die Evolutionstheorie nie voll anerkannt

So sehr ich Mittelstraß ansonsten wertschätze, hier irrt er gewaltig. Zwar stimmt es, dass Charles Darwins Werk – im Unterschied etwa zum wegweisenden Buch seines Großvaters Erasmus Darwin „Zoonomia or The Laws of Organic Life“ – nicht auf dem Index der verbotenen Schriften landete. Das heißt jedoch noch nicht, dass der Vatikan die Evolutionstheorie je wirklich akzeptiert hätte.

Da die Kirche im 19. Jahrhundert nicht mehr über die Machtmittel verfügte, mit deren Hilfe sie zuvor Galilei und Bruno zum Schweigen gebracht hatte, waren ihre Hände gebunden. Sie verurteilte den Naturalismus zwar von Anfang an als „Irrlehre“ (etwa im „Syllabus“ von 1864), setzte jedoch ansonsten im Umgang mit dem evolutionären Erklärungsmodell auf das Instrument der Ignoranz bzw. der Bagatellisierung. Nach fast einem Jahrhundert Sendepause war Pius XII. der erste Papst, der sich öffentlich dezidiert zur Deszendenztheorie äußerte. In seinem Rundschreiben „Humani Generis“ von 1950 erklärte er, dass eine Beschäftigung mit der „Entwicklungslehre“ unter bestimmten Bedingungen legitim sei. Dabei ließ Pius allerdings die Frage offen, ob der Mensch sich „seinem Leibe nach“ tatsächlich aus dem Tierreich entwickelt habe. In Bezug auf die „Seele“ und die sog. „höheren geistigen Fähigkeiten des Menschen“ definierte der Papst jedoch einen klaren Standpunkt: Was die „Seele“ betrifft, so Pius XII., müsse der katholische Gläubige unbedingt daran festhalten, „dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist.“

Im Grunde hat sich an dieser Haltung der Kirche bis heute wenig verändert. Der einzig erkennbare Fortschritt besteht darin, dass der Vatikan mittlerweile die körperliche Herkunft des Menschen aus dem Tierreich nicht mehr als „offene Frage“ begreift, sondern seit Johannes Paul II. als „Tatsache“. Weiterhin wird jedoch jede evolutionäre Erklärung der „seelischen“, d.h. der psychischen, kognitiven und affektiven Merkmale von Homo sapiens vehement bestritten, obgleich Darwin in seinen Werken „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ und „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ gerade auch auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet hatte.