Moralphilosophie | 14.05.2010

Gut sein ohne Gott

 

Wie kann man ein „Sollen“ von einem „Sein“ ableiten?

David HumeEine Antwort auf David Hume (oder den Hume der populären Vorstellung).

Der schottische Philosoph des 18. Jahrhunderts, David Hume, argumentierte bekanntermaßen, dass keine Beschreibung dessen, wie die Welt ist (Fakten) uns sagen kann, wie die Welt sein sollte (Werte). Humes Argument richtete sich eigentlich gegen religiöse Apologeten, die versuchten, Moral von Gottes Existenz abzuleiten. Ironischerweise ist sein Gedankengang seitdem allerdings zu einer der größten Hindernisse geworden, Moral mit dem restlichen menschlichen Wissen zu verknüpfen.

 

Das größtmögliche Leid für alle

(Wie man von „Sein“ zu „Sollen“ gelangt 1.0)

Fakt #1: Es gibt Verhaltensweisen, Intentionen, kulturelle Praktiken, etc., die potenziell zum größtmöglichen Leid für alle führen. Es gibt auch Verhaltensweisen, Intentionen, kulturelle Praktiken, etc., die das nicht tun und die, tatsächlich, bei vielen bewussten Wesen Zustände des Wohlbefindens herbeiführen und zwar bis zu dem Grade, wie Wohlbefinden in diesem Universum möglich ist.

Fakt #2: Während es in der Praxis oftmals schwierig sein mag, so kann man prinzipiell zwischen diesen beiden Mengen unterscheiden.

Fakt #3: Unsere „Werte“ sind Wege, über diese Domäne der Möglichkeiten nachzudenken. Wenn wir Freiheit, Privatsphäre, Würde, Redefreiheit, Ehrlichkeit, gute Umgangsformen, das Recht auf Privatbesitz, etc. schätzen – dann schätzen wir diese Dinge nur insoweit sie Teil des zweiten Faktorenbündels sind, das zu dem Wohlbefinden (von jemandem) beiträgt.

Fakt #4: Werte sind also (explizite oder implizite) Urteile darüber, wie das Universum funktioniert und sie sind selbst Fakten über das Universum (d.h. Zustände des menschlichen Gehirns). (Religiöse Werte, die sich auf den Willen Gottes oder das Gesetz des Karma konzentrieren, sind keine Ausnahme: Der Grund, Gottes Willen oder das Gesetz des Karma zu respektieren, liegt darin, das größtmögliche Leid für viele, die meisten oder sogar alle bewussten Wesen zu vermeiden).

Fakt #5: Es ist möglich, verwirrt darüber zu sein oder sich darüber zu irren, wie das Universum funktioniert. Es ist darum möglich, die falschen Werte zu haben (d.h. Werte, die sich in Richtung des größtmöglichen Leids für alle bewegen, anstelle davon hinweg).

Fakt #6: Angesichts dessen, dass das Wohlbefinden von Menschen und Tieren auf Zuständen der Welt und Zuständen ihrer Gehirne beruhen muss und die Wissenschaft unsere systematischsten Mittel repräsentiert, um diese Zustände zu verstehen, kann uns die Wissenschaft potenziell dabei helfen, das größtmögliche Leid für alle zu vermeiden.

Fakt #7: Insofern unsere untergeordneten Werte in Konflikt miteinander stehen können – z.B. individuelle Rechte vs. kollektive Sicherheit, das Recht auf Privatsphäre vs. Meinungsfreiheit – wäre es vielleicht möglich zu entscheiden, welche Prioritäten am vollständigsten das größtmögliche Leid für viele, die meisten oder sogar für alle bewussten Wesen vermeiden können. Die Wissenschaft kann also im Prinzip (wenn auch nicht immer in der Praxis) unsere untergeordneten Werte bestimmen und bevorzugen (z.B. sollten wie „Ehre“ wertschätzen? Falls das so ist, dann wann und wie sehr?).

Fakt #8: Man kann vernünftigerweise nicht fragen: „Aber warum ist das größtmögliche Leid für alle schlecht?“ –denn falls das größtmögliche Leid für alle nicht schlecht ist, dann ist das Wort „schlecht“ bedeutungslos. (Das wäre so, als würde man fragen: „Aber warum ist ein perfekter Kreis rund?“ Die Frage kann gestellt werden, aber sie drückt nur Verwirrung aus, keine verständliche Grundlage für skeptischen Zweifel.) Ebenso kann man nicht fragen: „Aber warum sollten wir das größtmögliche Leid für alle vermeiden?“ – Denn falls der Begriff „sollten“ überhaupt irgendeine Verwendungsmöglichkeit besitzt, dann besteht sie darin, uns vom größtmöglichen Leid für alle wegzudrängen.

Fakt #9: Man kann also „Sollen“ von „Sein“ ableiten: Denn falls es eine Verhaltensweise, Intention, kulturelle Praxis, etc. gibt, die wahrscheinlich das größtmögliche Leid für alle hervorbringt, dann sollte man diese nicht annehmen. (Alle geringfügigeren ethischen Erwägungen und Verpflichtungen folgen daraus).