Moralphilosophie | 14.05.2010

Gut sein ohne Gott

 
 

Der Pseudo-Fehlschluss

Der naturalistische Fehlschluss wurde Sam Harris immer wieder als Gegenargument vorgesetzt. Hier einige Ausschnitte aus seinen Antworten. Der erste stammt aus seinem Essay Moralische Verwirrung im Namen der ‚Wissenschaft‘:

„Viele meiner Kritiker zitieren fromm Humes Sein/Sollen-Unterscheidung, als wäre es gemeinhin wohlbekannt, dass sie das letzte Wort zum Thema Moral ist bis zum Ende aller Zeiten. Caroll scheint sogar zu glauben, dass Humes faule Analyse von Fakten und Werten so zwingend ist, dass er sie zum Status einer mathematischen Wahrheit erhöht:

"Versuche, ein Sollen von einem Sein [Werte von Fakten] abzuleiten sind wie Versuche, eine ungerade Zahl durch die Addition von geraden Zahlen zu erreichen. Wenn jemand behauptet, dass sie es geschafft hätten, dann muss man ihre Mathematik nicht überprüfen, denn man weiß, dass sie einen Fehler gemacht haben."

Das ist eine bemerkenswert verschrobene Antwort, wenn man bedenkt, dass sie von einem sehr schlauen Wissenschaftler kommt. Ich frage mich, wie Caroll reagieren würde, wenn ich mal eben seine Physik abweise mit Bezug auf etwas, das Robert Oppenheimer einmal geschrieben hat, in der Annahme, dass es nun ein unbewegliches Objekt ist, um das sich alle zukünftigen menschlichen Gedanken drehen müssen. Zum Glück funktioniert Physik nicht so. Aber auch Philosophie funktioniert nicht so. Ehrlich gesagt funktioniert nichts, was funktioniert, auf diese Weise.“

 

Die Quelle der Moral

Später mehr zum naturalistischen Fehlschluss. Aber zunächst eine Vorübung: Was ist für Sam Harris die objektive Quelle der Moral? Dazu schreibt er im oben genannten Essay:

„Alle anderen Auffassungen von Werten [außer einer hypothetischen, die Harris als irrelevant verwirft] werden in irgendeinem Zusammenhang mit den tatsächlichen oder potenziellen Erlebnissen von bewussten Lebewesen stehen. Also scheint meine Behauptung, dass das Bewusstsein die Grundlage von Werten ist, kein zufälliger Ausgangspunkt zu sein.

Jetzt, wo das Bewusstsein auf der Tagesordnung ist, besteht meine weitergehende Behauptung darin, dass Wohlbefinden das ist, was wir verständlicherweise wertschätzen können – und „Moral“ (welche Assoziationen auch immer die Menschen mit dem Begriff verbinden mögen) steht in einem tatsächlichen Zusammenhang zu den Intentionen und Verhaltensweisen, die das Wohlbefinden bewusster Wesen beeinflussen. Und, wie ich bei TED betont habe, sind alle Menschen, die behaupten, über alternative Quellen der Moral zu verfügen (wie das Wort Gottes), letztlich sowieso nur am Wohlbefinden interessiert: Sie glauben eben nur, dass das Universum auf eine Art und Weise funktioniert, welche die wirklich wichtigen Veränderungen im bewussten Erleben über den Tod hinaus verschiebt (also Himmel oder Hölle). Und die philosophischen Bemühungen, Moral mit Begriffen wie Pflicht, Fairness, Gerechtigkeit oder einem anderen Prinzip, das nicht explizit mit dem Wohlbefinden bewusster Wesen verbunden ist, auszudrücken – sind letzten Endes nichtsdestoweniger parasitisch im Verhältnis zu irgendeiner Vorstellung von Wohlbefinden.“

Mit diesen Ausführungen im Hinterkopf können wir uns wieder dem naturalistischen Fehlschluss zuwenden und einem Vorschlag von Sam Harris, wie man diesen auflösen könnte. Diesen formuliert er in folgendem, auf der nächsten Seite vollständig übersetzten Text: