Moralphilosophie | 14.05.2010

Gut sein ohne Gott

 

Warum sollte uns das kümmern?

Sam Harris beantwortet, wieder in Moralische Verwirrung im Namen der ‚Wissenschaft‘, den Einwand, dass nicht jeder Mensch Wohlbefinden für die Grundlage der Ethik hält:

„Also was ist mit Leuten, die meinen, dass Moral nichts mit dem Wohlbefinden von irgendwem zu tun hat? Ich sage, dass sie uns nicht kümmern brauchen – so wenig, wie uns Leute interessieren müssen, die glauben, dass ihre „Physik“ mit Astrologie, oder sympathischer Magie oder Vedanta synonym ist. Wir können „Physik“ auf jede Weise definieren, die wir für richtig halten. Einige Definitionen werden nutzlos sein, oder schlimmer. Wir können „Moral“ auf jede Weise definieren, die wir für richtig halten.

[…]

Da wir niemals komplett außerhalb eines Bezugssystems stehen können, sind wir immer anfällig für die Klage, dass unser Bezugssystem auf nichts basiert, dass seine Axiome falsch sind, oder dass es fundamentale Fragen gibt, die es nicht beantworten kann. Na und? Wissenschaft und Vernunft basieren prinzipiell auf Intuitionen und Konzepten, die weder reduziert noch gerechtfertigt werden können.

[…]

Es lohnt auch der Hinweis, dass Caroll die epistemologische Leiste für Moral höher ansetzt, als er das für irgendeine andere Richtung der Wissenschaft tut. Er fragt: „Wer entscheidet, was ein erfolgreiches Leben ist?“. Nun, wer entscheidet, was ein kohärentes Argument ist? Wer entscheidet, was empirische Belege ausmacht? Wer entscheidet, wann wir unseren Erinnerungen vertrauen können? Die Antwort lautet: „Wir tun das“. Und wenn Sie mit dieser Antwort nicht zufrieden sind, dann haben sie gerade die gesamte Wissenschaft, Mathematik, Geschichte, Journalismus und jede andere menschliche Bemühung, die Realität zu erkennen, ausgelöscht.

In dem Essay Einer Wissenschaft der Moral entgegen ergänzt Harris:

„Ich frage mich, ob irgendjemand auf der Welt sich versucht fühlt, die philosophischen Grundlagen der Medizin mit Fragen wie dieser anzugreifen: „Was ist mit den Leuten, die dein Ziel, Krankheiten und einen frühen Tod zu vermeiden, nicht teilen? Wer kann schon festlegen, dass ein Leben frei von Krankheiten und lähmenden Schmerzen ‚gesund‘ ist? Wie kommst du darauf, dass du eine Person, die an tödlichem Wundbrand leidet, davon überzeugen kannst, dass sie nicht so gesund ist wie du?“ Und doch sind das genau die Art Fragen, die mir gestellt werden, wenn ich über Moral in Hinblick auf menschliches und tierisches Wohlbefinden spreche.“

 

Der Konsequenzialismus

Die objektive Ethik, die Harris vorschlägt, ist konsequenzialistisch. Sie fragt also nach den Ergebnissen unseres Handelns und versucht es so zu konfigurieren, dass unser Handeln die ethisch besten Konsequenzen hat (siehe auch meine Verteidigung des Konsequenzialismus in Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater). Harris zum Thema:

„Es ist wahr, dass viele Menschen glauben, dass „es nicht-konsequenzialistische Wege gibt, eine Moral zu entwickeln“, aber ich glaube, dass sie unrecht haben. Wenn man, meiner Erfahrung nach, an der Oberfläche eines beliebigen Deontologen kratzt [Anm des Übers.: ein bestimmtes Handeln ist laut Deontologen intrinsisch gut oder schlecht, unabhängig von seinen Konsequenzen], dann findet man einen Konsequenzialisten, der nur darauf wartet, herauszukommen. Zum Beispiel glaube ich, dass Kants Kategorischer Imperativ nur dann ein rationaler Standard der Moral sein kann, wenn man davon ausgeht, dass er allgemein von Vorteil sein wird (wie J.S. Mill am Anfang seines Utilitarismus feststellt). Dito für religiöse Moral. Das ist ein logisches Argument, bevor es ein empirisches ist, ja, aber ich denke, dass wir in der Lage sind, Experimente zu gestalten, die zeigen, dass Menschen sich um Konsequenzen sorgen, selbst wenn sie sagen, dass sie das nicht tun.“