Abtreibungsdebatte | 08.02.2010

Der große Beethoven-Fehlschluss

Folgt man der „Pro Life“-Logik zu ihrer logischen Schlussfolgerung, hat sich eine fruchtbare Frau jedes Mal etwas auf der Ebene eines Mordes schuldig gemacht, wenn sie ein Angebot zur Kopulation abschlägt. Nebenbei bemerkt bedeutet „Pro Life“ stets pro menschliches Leben und niemals tierisches Leben, obwohl eine erwachsene Kuh oder ein Affe offensichtlich in viel höherem Maße Schmerz empfinden können, als ein menschlicher Fötus. Doch ist die zutiefst un-evolutionäre Natur dieser Terminologie ein anderes Thema und ich lasse es beiseite.

Das Spermium, das Tim Tebow erzeugte, war Teil eines Ejakulats von (nach durchschnittlicher Schätzung) 40 Millionen. Wenn irgendeines von ihnen das Rennen zu Frau Tebows Eizelle anstelle von diesem geschafft hätte, wäre Tim niemals geboren worden, sondern jemand anderes. Wahrscheinlich kein so guter Quarterback, aber – so können wir hoffen – ein besserer Logiker, der den Heimunterricht überlebt und sich von diesem gelöst hätte. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass jeder einzelne von uns, astronomischer Unwahrscheinlichkeit zum Trotze, Glück hat, am Leben zu sein. Tim Tebow verdankt seine Existenz nicht nur der Weigerung seiner Mutter, abtreiben zu lassen. Er verdankt seine Existenz der Tatsache, dass seine Eltern genau dann Verkehr hatten, als sie es taten und nicht eine Minute früher oder später. Und zuvor, dass sie sich getroffen hatten und heirateten. Das Gleiche gilt für alle vier seiner Großeltern, alle acht von deren Großeltern und so weiter.

Eine solche Argumentation lässt religiöse Apologeten unbeeindruckt, weil es, wie sie sagen, einen Unterschied gibt, ob man ein Leben, das bereits existiert, beendet (wie bei der Abtreibung) oder ob man ein Leben erst gar nicht zur Existenz bringt. Diese Unterscheidung übersteht allerdings keine analytische Überprüfung. Betrachten wir die Sache aus der Perspektive von (sagen wir) Tims ungeborener Schwester, die zwei Monate später empfangen worden wäre, hätte man Tim nur abgetrieben. Zugegeben ist sie nicht in einer Position, sich über ihre Nicht-Existenz beschweren zu können. Doch wäre auch Tim nicht in einer Position gewesen, sich über seine Nicht-Existenz zu beschweren, hätte man ihn abgetrieben. Um sich zu beschweren, um etwas zu bedauern, um sich wehmütig zu fühlen, um Schmerz zu empfinden oder um das Leben zu vermissen, das man gehabt hätte, benötigt man ein funktionierendes Nervensystem. Unempfangene Babys haben kein Nervensystem. Wie auch abgetriebene Föten. In Hinblick auf alles, was von Bedeutung wäre, hat ein abgetriebener Fötus exakt den selben mentalen und moralischen Status wie irgendeine der unzähligen Trillionen von unempfangenen Babys. Dies gilt zumindest für frühe Abtreibungen, welche die große Mehrheit darstellen.

Die Tatsache, dass Tim Tebows Werbeclip ein Haufen undurchdachter Unfug ist, stellt jedoch keinen Grund dar, ihn zu verbieten. Dies würde unser geschätztes Prinzip der freien Rede beeinträchtigen. Das beste, was der Rest von uns tun kann, ist jeden, der zuhören wird – trotz unseres Mangels an Geld, um für solche Werbeclips zu bezahlen –, darauf hinzuweisen, dass es Unfug ist. Wie ich es gerade getan habe.

Richard Dawkins

 

Quelle: Washington Post: On Faith

Übersetzung: AM