Mythologie | 04.04.2009

Der griechische Schöpfungsmythos

Prometheus (scott-eaton.com)

Neben dem christlichen Schöpfungsmythos gibt es noch weitere Konkurrenzmodelle zur Evolutionstheorie, die mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen durch theologische Auslegungskünste in Einklang zu bringen sind. Diesmal befassen wir uns mit dem griechischen Schöpfungsmythos. Aber Vorsicht: Es handelt sich um die Disney-bereinigte Originalfassung.


Der unendliche Orgasmus des Himmels

Chaos, die finstere, endlose Tiefe, ist der Anfang aller Dinge. Sie gebiert Gaia, die Erde – Plattform der Welt. Auf ihr wachsen Berge, die bis in die leuchtenden Himmel hinaufreichen, unter ihr ruht die Unterwelt, ein nebulöser Abgrund. Eros formt sich, die ursprüngliche Liebe, noch nicht in Geschlechter zerfallen.

Gaia gebiert Uranos, den Sternenhimmel und Pontos, den Meeresstrom. Pontos durchdringt und begrenzt die Erde. Gaia und Uranos, die direkt aufeinander liegen, bilden zusammen den Boden und das Gewölbe des Universums. Mit ihnen kommen die Geschlechter in die Welt. Gaia ist weiblich und Uranos ist männlich. Sie sind zugleich Götter, deren Verehrung einen Nutzen bringt, und Naturgewalten.

Uranos befasst sich ausnahmslos mit der Begattung Gaias und erfreut sich an einem ununterbrochenen Samenerguss. Auf diese Weise zeugen sie Kinder, sechs männliche und sechs weibliche Titanen, die jedoch Gaias Schoß nicht verlassen können, weil zwischen Himmel und Erde kein Platz frei ist. Neben ihnen zeugen Gaia und Uranos drei Kyklopen namens Brontes (Donner), Steropes (Blitz) und Arges (der Grelle), die sich mit der Produktion von Gewittern befassen. Sie haben nur ein Auge auf der Stirn, aber ihr Blick ist tödlich. Die letzten drei Kinder von Gaia und Uranos sind die Hekatoncheiren, die „Hundertarmigen“ genannten Ungeheuer Kottos, Briareos und Gyes. Sie haben fünfzig Köpfe und hundert kräftige Arme. Sie stehen für die Macht der physischen Gewalt, während die Kyklopen für die Macht des bösen Blickes stehen. Bereits die alten Griechen hatten also ein Problem damit, wenn man sie schräg anschaut.


Befreiung durch Kastration

Die Kastration des Uranos

Gaias Bauch ist bis oben hin gefüllt mit Göttern, die da drinnen allmählich ersticken. Sie fordert die Titanen auf, sich gegen ihren Vater Uranos aufzulehnen. Der jüngste Titan, Kronos, ist bereit dazu. Gaia stattet ihn mit einer Sichel aus weißem Stahl aus, der „Harpè“. Mit ihr begibt sich Kronos zu der Stelle, wo sich Uranos mit Gaia vereint, und trennt seinem Vater das Glied ab. Er nimmt es und wirft es über seine Schulter. Im Flug verliert es Blutstropfen, die auf die Erde fallen, bis es schließlich im Meer verschwindet.

Aus den Blutstropfen entstehen die Erinnyen, die Rachegeister. Sie vergelten die an Blutsverwandten begangenen Schandtaten. Aus den Blutstropfen enstehen auch die Giganten, die den Krieg personifizieren, und die Meliai, die Eschennymphen, die ebenfalls der Gewalt dienen, weil aus dem Holz ihrer Bäume Speere gemacht werden. Meliai, die Giganten und die Erinnyen bilden zusammen Eris, die Zwietracht in allen ihren Formen.

Uranos ist seine Extrembeschneidung nicht gut bekommen und er flüchtet nach oben, wo er von nun an mit einem Respektsabstand über Gaia schweben wird.

Derweil erzeugt Chaos mit sich selbst zwei Kinder: Erebos, die Finsternis und Nyx, die Nacht. Nyx gebiert die Kinder Aither, die Himmelshelle und Hemera, das Tageslicht. Sie interagieren fortan mit Uranos und sorgen dafür, dass er entweder beleuchtet oder von der Dunkelheit erfasst wird.

Durch seine Kastration ist Uranos bescheidener geworden. Er befruchtet Gaia nur noch während der Regenzeit. Der Regen bringt neue Pflanzen und Tiere hervor.