Philosophie | 18.03.2010
Moral und Philosophie doch kein Quatsch
Es ist also viel wahrscheinlicher, dass unsere Fähigkeit zur bewussten Reflektion selbst einen Überlebensvorteil hatte – und hat –, da sie uns eine hohe Flexibilität ermöglicht. Wir können unsere Moral schnell an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen. Ohne unmittelbare Bedrohung kann man sich zum Beispiel den Luxus des Pazifismus leisten und sobald man von Islamisten beschossen wird, mutiert man spontan zum Kriegstreiber. Bei Nahrungsknappheit müssen diejenigen zuerst dran glauben, die zu krank oder alt sind zur Nahrungssuche und bei Nahrungsüberfluss werden extra Krankenhäuser und Altersheime für sie errichtet.
Moral und Philosophie können auch im Widerspruch zu unseren natürlichen Bedürfnissen stehen. So zum Beispiel die katholische Sexualmoral mit ihrem Verbot von Sex außerhalb der ehelichen Fortpflanzung, den Verboten von Masturbation, Homosexualität, Pornographie, etc. Die natürliche Selektion baut Lebewesen recht unprofessionell und mit vielerlei Kompromissen zusammen, also kann es vorkommen, dass Menschen so verwirrt sind über ihre eigenen Bedürfnisse, dass sie der katholischen Sexualmoral etwas abgewinnen können. Jedoch ist es ebenso möglich, Moral und Philosophie in den Dienst des Glücks leidensfähiger Lebewesen zu stellen, wie es der säkulare Humanismus tut. Wir möchten von Natur aus ein glückliches Leben führen und mit Hilfe der bewussten Reflektion gelangt man zu Antworten auf die Frage, wie das für möglichst viele Individuen realisiert werden kann. Also gibt es keinen Grund für instinktiven Fatalismus à la Ruse, obgleich unsere Instinkte gewiss einen großen Einfluss auf unser Verhalten haben.
Das Tourettesyndrom der Kuschelatheisten
„Gott ist tot. Die Neuen Atheisten halten das für eine bedeutsame Entdeckung. Damit, wie mit fast allem anderen, liegen sie komplett daneben“, erklärt Ruse am Ende seines Artikels. Diese Aussage würde innerhalb des Ruse'schen Fatalismus durchaus Sinn ergeben, nicht jedoch angesichts seiner (offenbar ernstgemeinten) Erklärung am Anfang des Artikels, laut der wir ohne Gottesglaube besser dran wären.
Diese merkwürdige Abgrenzung von Leuten, mit denen Ruse in Punkto Gottesfrage übereinstimmt, erklärt der Biologe Jerry Coyne wie folgt:
„Das neuerliche Verhalten von Ruse hat beinahe ein Tourette-artiges Element. Egal, welches Thema er diskutiert: Er fühlt sich nach unvorhersehbaren Intervallen und zu unangemessen Zeitpunkten dazu genötigt, ‚Neue Atheisten sind SCHLECHT!!!!‘ zu rufen. Ich fange an zu glauben, dass seine Abneigung gegenüber Harris, Hitchens und Dawkins aus einer tiefsitzenden Eifersucht auf ihren literarischen Erfolg resultiert. Diese Theorie wird durch die erste Aussage von Ruse in diesem Video gestützt.“
Das entspricht in der Tat auch meiner Erfahrung: Der Kuschelatheismus ist ein einziges Eifersuchtsdrama.
Quelle: Der Artikel von Ruse im Guardian
AM