Presseschau | 04.06.2009

Das Glück, der europäische Urmensch und die unmoralische Evolution


Evolution schlecht, Gott gut

Thomas D. Williams, der ehemalige Vatikan-Pressesprecher, bedient eine aktuelle Strategie christlicher Apologeten, die darauf hinausläuft, die Evolutionstheorie aus „moralischen Gründen“ zu diskreditieren. Diese Strategie ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt, weil die Evolutionstheorie faktisch, empirisch wahr ist, ganz egal, was Gläubige aus moralischen Gründen von ihr halten oder nicht halten. Der Vatikan kann die Evolutionstheorie nicht anerkennen und gleichzeitig von uns verlangen, dass wir sie aus moralischen Gründen ignorieren!

Zwar könnten auch Atheisten gute Menschen sein, findet Herr Williams, aber irgendwie auch wieder nicht, denn: „ ‚Wenn der Mensch nur über seine rein biochemische Zusammensetzung definiert wird‘, so Williams, ‚dann wäre sein Wert sehr reduziert.‘ Er glaube, dass alle Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, ihre Mitmenschen besser behandeln würden“, heißt es in diesem Bericht. Alle Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, sollen ihre Mitmenschen besser behandeln! Das gilt doch wohl offensichtlich nicht für die islamistischen Selbstmordattentäter, die sich für das paradiesische Leben nach dem Tod auf überfüllten Marktplätzen in die Luft jagen! Außerdem gilt es allgemein statistisch nicht, im Gegenteil.

Wir sollen außerdem aus moralischen Gründen an die Schöpfung und an den freien Willen glauben. „Auch an den freien Willen würden Materialisten nicht glauben“, sagt Williams weiter. „Sie sagen, dass alle Handlungen nur Reaktionen auf äußere Umstände seien“.

Nein, das sagt kein Mensch. Aber mal ganz langsam: Ein freier Wille wäre ein Wille ohne Ursache, ein freier Wille eben, ein Wille, der außerhalb des Determinismus steht. Wir würden, hätten wir einen freien Willen, ohne jeden Anlass etwas wollen. Das ergibt keinerlei Sinn. Wenn wir ein Glas Wasser trinken möchten, dann ist das so, weil wir durstig sind und es ist nicht einfach das willkürliche Resultat eines freien Willens. Herr Williams bleibt uns eine Erklärung dafür schuldig, wie wir überhaupt dazu in der Lage sein sollen, an etwas zu glauben, das offensichtlich nicht wahr sein kann. Aber wie dem auch sei: Warum müssen das überhaupt? „Wenn der freie Wille aber im Leben eines Menschen fehle, dann fehle auch die Möglichkeit, moralisch zu handeln“, lautet die Antwort von Herrn Williams. Also sind Atheisten eben doch nicht in der Lage, moralisch handeln?

Natürlich kann die Frage nur lauten, ob der freie Wille objektiv existiert oder nicht. Wenn er existiert, dann fehlt er auch nicht im Leben eines individuellen Menschen. Wenn er nicht existiert, dann haben auch Gläubige keinen freien Willen. Da wir nun offenbar in der Lage sind, moralisch zu handeln, muss das so oder so auf jeden Fall möglich sein.

„Auch die Moral sei dann das Ergebnis der Evolution“, meint Herr Williams. ‚Sie [Materialisten] glauben, dass Gott damit nichts zu tun hätte.‘ Aber mit diesem Ansatz sei Moral nicht möglich.“

Warum soll Moral nicht möglich sein, wenn sie das Ergebnis der Evolution ist? Evolution führt zu unserer Moralfähigkeit, also ist Moral möglich. Wie kann Evolution uns zu moralfähigen Menschen machen und gleichzeitig uns von moralischem Verhalten abhalten?

„Werte wie Demokratie, Gleichheit und Freiheit sind biblische Werte“, sagt Herr Williams schließlich. Nein, das sind sie definitiv nicht. Demokratie ist zunächst einmal kein Wert, sondern ein Regierungssystem, das der griechischen Antike entstammt und in den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts in Amerika und Europa durchgesetzt wurde. Gleichheit und Freiheit sind Werte der französischen und der amerikanischen Revolution, deren philosophisches Fundament von Aufklärungsphilosophen wie John Locke und Thomas Paine gelegt wurde. Wenn es nach der Bibel ginge, würden wir ungehorsame Kinder und Leute, die am Sabbat Stöcke sammeln, öffentlich steinigen oder sie von unseren Sklaven steinigen lassen. Man hätte ja angenommen, dass ein langjähriger Vatikan-Bediensteter einmal die Zeit findet, einen Blick in sein heiliges Buch zu werfen.

„Deswegen würden Christen großzügiger mit ihrem Geld und mit ihrer Zeit umgehen“, stellt Williams schließlich fest. Das stimmt zwar nicht, aber da sowieso nichts von dem stimmt, was der Herr Ex-Pressesprecher hier von sich gegeben hat, kommt es wohl auch nicht mehr darauf an. Atheisten sind, jedenfalls in der realen Welt, ebenso großzügig wie Gläubige. Allerdings behaupten Gläubige in allen Studien von sich, sie wären die besseren Menschen, obwohl sie das tatsächlich gar nicht sind. Und wie nennt man das? Heuchelei.