Dokumentation | 22.12.2008

Die Genialität von Charles Darwin (2)

Was wir in Richard Dawkins "The Genius of Charles Darwin" über die Evolution erfahren. Teil 2: Der Fünfte Affe

 

Menschenzucht

In der Tat ist eine Form selektiver Vermehrung in unserer Gesellschaft gang und gäbe: Künstliche Befruchtung. Technisch gesehen handelt es sich dabei um eine Variante der Eugenik: Frauen suchen sich einen Samenspender anhand bestimmter, von ihnen erwünschter Merkmale aus.

Dawkins besucht eine Samenbank in den USA und eine Gruppe Frauen, die sich für künstliche Befruchtung entschieden haben. Was wird ihr Auswahlkritierium für den Spender sein? Sind die rücksichtslosesten Machos, die „Stärksten“, bei den Frauen am beliebtesten? Im Gegenteil, berichtet der Leiter der Samenbank: Der „netteste Kerl“ (die Frauen bekommen einen ausführlichen Bewertungsbogen, die der Spender ausgefüllt hat, in die Hand gedrückt) wird mit Abstand am häufigsten von den Frauen als biologischer Vater ihrer Kinder ausgewählt. „Nice Guys Finish First“, hieß bereits eine frühere Dokumentation von Richard Dawkins aus den 1980ern. Die Netten werden die Ersten sein. Aber warum setzen wir überhaupt Nachkommen in die Welt?

 

Die Genmaschine

Menschen sind Genbehälter, Überlebensmaschinen für potenziell unsterbliche Gene. Das Überleben des Bestangepassten bezieht sich auf das Überleben von Genen. Aus ihrem Eigeninteresse entsteht die Selbstlosigkeit ihrer Behälter. Zum Beispiel kann das in Form von reziprokem Altruismus geschehen, wenn Menschen sich gegenseitig helfen. Ich kraule dir den Rücken, wenn du mir meinen Rücken kraulst.

Die „extremste“ Form des Altruismus, die Selbstaufopferung, um das Leben anderer zu retten, kommt bei Tieren nur vor, wenn sie genetisch eng verwandte Individuen auf diese Weise retten können. Dadurch bewahren sie nämlich ihre eigenen Gene. Zum Beispiel rettet eine Entenmutter 100% ihrer Gene, wenn sie zwei ihrer Küken (je 50% ihrer Gene) vor dem Tod bewahrt, indem sie sich einem Raubtier opfert und die Küken auf diese Weise entkommen können. Wenn sie drei ihrer Küken retten kann, ist es recht wahrscheinlich, dass sie sich opfern wird, wenn es die Situation erfordert.

 

Die einmalige Selbstlosigkeit des Menschen

Doch bei Menschen kommt es, wenn auch selten, durchaus vor, dass sie sich für völlig Fremde aufopfern, die nur sehr wenige der eigenen Gene in sich tragen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass der Mensch die überwiegende Zeit seiner Existenz in kleinen Gruppen lebte, bei denen er mit jedem Mitglied eng verwandt war. Langsam hat sich die Gesellschaft gewandelt und nun leben wir mit genetisch Fremden zusammen, doch das klassische Altruismus-Programm beeinflusst noch immer unser Verhalten.

Der Altruismus erfährt also eine Fehlzündung. Das ist der Grund, warum wir uns überhaupt für Fremde aufopfern können oder warum wir ihnen einen Gefallen tun, ohne eine Gegenleistung erwarten zu können (das ist der biologische, aber nicht der psychologische Grund!)

Dawkins spricht nun mit dem Primatologen Frans de Waal, der das anders sieht. Für ihn sind Primaten und Menschen „wirklich“ altruistisch, ohne dass es ihren Genen tatsächlich oder scheinbar nutzen würde. Für Dawkins ist das aber keine Erklärung, sondern einfach eine romantische Verklärung, die den Fakten aus dem Weg geht, wo sie nicht passen.

 

Ausbruch aus der darwinistischen Tyrannei

Dawkins stellt fest, dass Menschen der natürlichen Selektion entkommen sind. Wie der Altruismus noch funktioniert, obwohl wir nicht mehr in genetisch eng verwandten Kleingruppen leben, ist auch das sexuelle Verlangen noch wirksam, obwohl wir verhüten. Wir können zu wildfremden Menschen nett sein, obwohl sie nur wenige Gene mit uns teilen. Mit Hilfe unserer großen Gehirne sind wir also in der Lage, die Fehlzündung des Altruismus für unsere eigenen Zwecke zu gebrauchen und die Welt humaner zu machen.

Die Evolution kennt kein Ziel, es gibt keinen höheren Plan, keine große Erzählung, in der wir die Hauptrolle spielen. Genau dieser Fakt ist es, der uns die Möglichkeit gibt, unseren Sinn selbst zu erschaffen. Wir können als einziges Lebewesen auf diesem Planeten die natürliche Selektion verstehen, um ihrer Tyrannei zu entkommen.

 

Vorschau

Am nächsten Montag begleiten wir Richard Dawkins bei seinen Auseinandersetzungen mit den Gegnern der Evolutionstheorie. Wie sich zeigen wird, sind das nicht nur Kreationisten, sondern auch Kultur- und Wahrheitsrelativisten, für die Wissenschaft nicht besser ist als Religion.

 

AM