Evolution der Religiosität | 20.04.2009

Fruchtloser Glaube

 

Dennoch: Wie bei der Musikalität, so ist es auch bei der Religiosität mehr als zweifelhaft, ob sie ein direktes Produkt der natürlichen Selektion darstellt. Vieles spricht dafür, dass sowohl die Musikalität als auch die Religiosität bloße Epiphänomene unseres kognitiven Apparates sind – biologische Nebenprodukte, die mit der Evolution des präfrontalen Cortex einhergegangen sind.

Während Richard Dawkins die Religiosität denn auch als ein bloßes Epiphänomen betracht, behauptet Michael Blume dagegen, dass die Religiosität eine echte Adaptation sei. Um die Adaptivität der Religiosität unter Beweis zu stellen, verweist er auf eine Vielzahl demographischer Untersuchungen, die belegen, dass religiöse Menschen nachweislich mehr Nachkommen hinterlassen als areligiöse.

Obwohl ich an der Richtigkeit der religionsdemographischen Befunde in keiner Weise zweifle, beweisen sie in meinen Augen doch bei weitem nicht, was sie beweisen sollen. Warum? Ich will das an einem Beispiel aus dem Buch erklären. Darin berichtet Michael Blume unter anderem über die christlichen Sekten der Shaker und der Amish. Während die Gemeinden der Amish blühen, sterben die Gemeinden der Shaker aus.

Nach der Logik von Michael Blume sollte dies daran liegen, dass die Shaker einfach weniger religiös sind als die Amish. Sind sie aber mit Sicherheit nicht! Die Shaker sind mindestens genauso fromm wie die Amish. Der wahre Unterschied zwischen den beiden Sekten besteht nicht in ihrer unterschiedlichen Religiosität, sondern in ihrer unterschiedlichen Moralität – speziell in ihrer unterschiedlichen Sexualethik: Während die Amish nämlich dem Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch!“ folgen, gehorchen die Shaker dem Gebot der Enthaltsamkeit.

Es ist also keineswegs die Religiosität als solche, sondern ausschließlich die Moralität, die darüber entscheidet, ob sich ihre Anhänger erfolgreich fortpflanzen oder nicht. Mit anderen Worten: Der Kindersegen einiger religiöser Sekten wie der der Amish lässt sich bereits allein aus ihrer Sexualethik erklären – aus ihrer Einstellung zu Ehe, Familie, Kinder, Scheidung, Verhütung und Abtreibung.

Meine zweite kritische Anmerkung betrifft die Gleichsetzung der Fertilität und der Adaptvität einer Religion. Auf der Grundlage einer Volkszählung aus dem Jahr 2000 pflanzen sich in der Schweiz die Hindus am erfolgreichsten fort, gefolgt von den Muslimen, den Juden, den Buddhisten, den Katholiken und den Protestanten. Die Konfessionslosen bilden dagegen das Schlusslicht.