Presseschau | 04.12.2009

Evolution, Rock'n Roll!

 

Gegen den Status Quo

Die Sechs-Tage-Theoretiker sind im Darwin-Jahr relativ still gewesen (nicht ihre beste Zeit, trotz des Auftritts im Stuttgarter Naturkundemuseum), dafür tauchen immer wieder theistische Evolutionisten auf und schieben die naturalistischen Evolutionsbefürworter in die Fanatiker-Ecke. Dabei fällt vor allem ihre propagandistische Ausdrucksweise ins Auge.

So spricht der katholische Pflanzenökologe Professor Dr. Ludger Grünhage von einem „dogmatischen Evolutionismus als materialistisch-naturalistische Weltanschauung“. Christliche Apologeten haben 2000 Jahre damit verbracht, dem „Materialismus“ (Annahme, dass nichts außer Materie existiert, existiert seit den griechischen Atomisten) einen schlechten Klang zu verleihen, nun wird er mit dem Naturalismus (Annahme, dass es außer der natürlichen Welt nichts gibt) vermengt, damit der auch schlecht klingt. Diese panischen Angriffe zeigen, wie zerbrechlich irrationale Weltbilder sind.

Bizarr auch der wiederkehrende Vorwurf, Naturalisten wären „dogmatisch“. Nicht nur, weil er falsch ist, sondern vor allem, weil er unfreiwillig impliziert, dass am religionseigenen Dogmatismus etwas verkehrt ist. Dabei beruht das ganze Weltbild der katholischen Kirche auf Dogmen, die vom Vatikan erlassen werden. Joseph Ratzinger war Professor für Dogmatik. Offenbar glauben Katholiken doch, dass Dogmen eine wunderbare Sache sind. Irgendwann sollte man bemerken, dass man nicht den Ast absägen sollten, auf dem man sitzt.

„Interessanterweise sind die Kreationisten dort mit den ‚Neuen Atheisten‘ vollkommen einig. Beide Seiten glauben, dass Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben nicht zusammengehen, nur die einen opfern dann die Evolutionstheorie und die anderen den Schöpfungsglauben. In der Mitte stehen die vernünftigen Leute, die sich darüber im Klaren sind, dass menschliche Erkenntnis nie alles abdeckt, was ist.“ So Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Württemberg in einer SWR-Doku über Kreationisten.

Die eine Seite sagt, dass „2+2=4“ ist, während die andere Seite behauptet „2+2=5“. In der Mitte stehen die vernünftigen Leute. Für sie ist „2+2=4,5“.

Fundamentalisten verlassen sich auf den Glauben, die „Neuen Atheisten“ verlassen sich auf das Denken, und die „vernünftigen“ Leute denken hin und wieder mal und dann glauben sie wieder etwas ohne guten Grund. Wenigstens sind die Weltbilder von Fundamentalisten und „Neuen Atheisten“ halbwegs konsistent und nicht komplett willkürlich – nicht, dass sie sonst noch etwas gemeinsam hätten. Das Mainstream-Weltbild beruht dagegen offenbar auf kulturellen Strömen, die ohne rationalen Widerstand durch die Gehirne fließen.

Aber diese Polarisierung funktioniert schon wunderbar. Da gibt es zwei Gruppen, die den Status Quo angreifen, also müssen beide Gruppen verrückt sein. Die normalen Leute stehen da drüber, ist schließlich undenkbar, dass der Status Quo unsinnig ist. Oder? Kann Gott gleichzeitig existieren und nicht existieren? Existiert etwa nur ein göttlicher Fuß, oder ein göttlicher Hintern? Der Status Quo ist lediglich eine Reflektion der politischen Zeitgeistes, laut dem jedes Weltbild offiziell irgendwie wahr ist. Es ist nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern, das einfach abzunicken und zu sagen: „Ja, es ist alles wahr, was du sagst. Egal, was es ist. Und jetzt lasst mich in Ruhe und gebt mir Forschungsgelder.“ Wissenschaft basiert auf der kritisch-rationalen Überprüfung von absolut allem, auch wenn das manchmal unbequem ist.

Es ergibt außerdem keinen Sinn nur zu fragen, ob die Evolutionstheorie mit dem Glauben vereinbar ist. Wo sind auf einmal Physik, Chemie und co. geblieben? Vielleicht bekommt man es irgendwie hin, nur einen dieser Bereiche mit Gott zu vereinbaren, wenn man dafür die anderen ignoriert. Zum Beispiel könnte man die natürliche Evolution akzeptieren, aber die natürliche Entstehung des Lebens („chemische Evolution“) ablehnen, weil sie einem anderen Forschungsgebiet angehört. Oder man könnte die Kosmologie ignorieren und Gott als den Urheber des Urknalls identifizieren. Oder man ignoriert sämtliche Naturgesetze, die mit der Keksproduktion zusammenhängen und behauptet, Gott wäre ein Keks. Geht alles, wenn man nur den Irrsinn mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Und all dies nur, damit Gläubige ihre persönlichen Meinungen mit dem ultimativen Autoritätsargument (Gott) in ihrem Ärmel vertreten können (siehe dazu Spektrum der Wissenschaft).

Zum Abschluss dieser kleinen Anti-Predigt gibt es noch ein schönes YouTube-Video, eine Antwort auf zentrale theologische Behauptungen (englisch). Weitere (englische) Empfehlungen: Ein Artikel über die populäre Religionsapologetin Karen Armstrong und eine Kritik der „aufgeklärten“ Theologie von John Haught durch den Biologen Jerry Coyne. Haught versucht sich ebenfalls daran, Gott mit der Evolutionstheorie zu vereinbaren.