Rezension | 03.12.2009

Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus

 

Theistische Evolution?

Jetzt, wo das gesagt ist, gehe ich kritisch auf die „aufgeklärten“ theologischen Einwürfe ein, denn gerade die werden gesellschaftlich respektiert, obwohl sie nicht viel vernünftiger sind als der Kurzzeit-Kreationismus. Zwar ist die Konfrontation mit wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der sogenannten „theistischen Evolution“ naturgemäß erheblich geringer, ebenso fordern theistische Evolutionisten keine Schöpfung im Biologieunterricht, aber sieht man sich ihre Argumentation philosophisch oder wissenschaftheoretisch an, kommt einem das kalte Grausen.

Hansjörg Hemminger ist studierter Biologe und Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Überwiegend erspart er dem Leser theologische Ausführungen (in welchem Fall es nichts an seinen Texten auszusetzen gibt), aber manchmal tauchen sie doch auf, zum Beispiel auf Seite 24-25, wo es heißt: „Darin [im EKD-Text 94] wird nicht nur der Kreationismus kritisiert, sondern ebenso die angeblich wissenschaftliche Kritik am Glauben, der die Wissenschaft als einzigen Zugang zur Realität versteht.“ Leider wird dieser Seitenhieb auf den „Neuen Atheismus“ nicht weiter ausgeführt. Man erfährt nicht, warum die Kritik nur „angeblich“ wissenschaftlich sein soll. Ebenso erfährt man nicht, wer genau der Meinung ist, dass die Wissenschaft der einzige Zugang zur Realität wäre. Die Neuen Atheisten weisen stets darauf hin, dass für sie auch Philosophie, Kunst, persönliche Erlebnisse, etc. Zugänge zur Realität sind (was nicht heißt, dass sie im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen dürften). Das war also ein bloßer Strohmann.

Auf S. 29 erfährt man von Hemminger, dass die Brights ein amerikanischer Studentenbund wären, was nicht den Tatsachen entspricht (es handelt sich um eine internationale, vor allem online aktive naturalistische Bewegung von abnehmender Bedeutung). Auf S. 31 erfahren wir: „Der so genannte Darwinismus kommt in der Ideologiegeschichte der Neuzeit eher spät, nach den mechanistischen Menschenbildern der Aufklärungszeit, nach der französischen Revolution und sogar nach der Geschichtsideologie von Karl Marx.“ Weder der „Darwinismus“ noch die mechanistischen Menschenbilder der Aufklärungszeit (die nur von Minderheiten wie Julien Offray de la Mettrie oder Baron D'Holbach vertreten wurden) gehören zur „Ideologiegeschichte“. Vielmehr handelt es sich um eine wissenschaftliche Theorie und um eine für damalige Verhältnisse sehr fortschrittliche, keineswegs dogmatische Philosophie, die auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Zeit beruhte.

Auf S. 159 hat sich in einem Text der christlichen Evolutionsbefürworter Hansjörg Hemminger und Andreas Beyer ein weiterer theologischer Einschub eingeschlichen. So erfährt man dort: „Aus der Sicht des jüdischen und christlichen Glaubens handelt es sich [beim Kreationismus] auch um schlechte Theologie, weil das Schöpfungshandeln Gottes zu einer weltimmanenten Ursache unter anderen gemacht wird, anstatt zum Ursprung und Urgrund alles Seienden und Werdenden.“ Das erscheint mir eine vollkommen willkürliche Behauptung zu sein. Wer entscheidet denn auf welcher Grundlage, was gute und was schlechte Theologie ist? Diese Frage war schon immer eine bloße Machtfrage, weil sich theologische Fragen argumentativ nicht entscheiden lassen. Der Gewinner eines 30-jährigen Krieges würde eine theologische Frage für sich entscheiden, so ist das historisch gelaufen.

Was Beyer und Hemminger hier beschreiben, ist außerdem der deistische Schöpfergott und nicht das, was man klassischerweise unter dem christlichen Schöpfergott verstanden hat. Von letztem hat man gemeinhin angenommen und nimmt es oftmals noch immer an, dass er die Arten alle einzeln erschaffen hat, den Menschen dabei „nach seinem Ebenbild“. Zwar ist die buchstabengetreue Wortgläubigkeit sämtlicher Inhalte der Bibel eine moderne Erscheinung, aber man hat zum Beispiel den Sündenfall rund 1500 Jahre lang durchaus für ein historisches Ereignis gehalten. Ohne diesen würde Jesu Erlösungstat und die Theologie um die Ursünde ja gar keinen Sinn ergeben.