Darwins Dankesrede | 17.02.2009

„Es war eine schwierige Geburt"

 

Ich muss gestehen, dass ich anfangs selbst Probleme hatte, den weltanschaulichen Schock zu verarbeiten, der mit der Theorie der natürlichen Selektion einherging. Immerhin war ich als frommer Christ auf meine Reise mit der Beagle aufgebrochen. Ich weiß noch, wie etliche Schiffsoffiziere über mich lachten, weil ich die Bibel als unanfechtbare Autorität in einer Frage der Moral zitierte.(6) Im Grunde war ich damals gar nicht willens, meinen Glauben aufzugeben,(7) doch was ich in der Natur entdeckte, war, wie ich es auch drehte und wendete, einfach nicht mehr in Einklang mit dem zu bringen, was uns die Religion zu glauben lehrte. So beschlich mich der Unglaube ganz langsam, am Ende aber war er unabweisbar und vollständig.(8)

Doch wenn es selbst mir so schwer fiel, die weitreichenden Konsequenzen der Evolutionstheorie zu verdauen, wie viel schwerer musste es erst jenen fallen, die nicht gesehen hatten, was ich sehen durfte?! Hatte ich das Recht, sie in eine Glaubenskrise zu stürzen? Durfte ich ihnen die Illusion nehmen, die Krönung einer göttlichen Schöpfung zu sein? Wie würden sie reagieren, wenn man ihnen darlegte, dass wir Menschen bloß eine vorübergehende, durch blinde Selektionskräfte hervorgebrachte, affenartige Lebensform sind?

Versuchen Sie, sich vorzustellen, was es bedeutet, eine solch weit reichende Idee jahrelang mit sich herumzutragen, ohne dies der Umwelt mitteilen zu können! Es war eine enorme psychische Belastung! Die Theorie zu veröffentlichen, das erschien mir 1844 so, als ob man einen Mord gesteht. (9) War es ein Zufall, dass sich mein Gesundheitszustand kurz nach der ersten Skizzierung der Selektionstheorie so dramatisch verschlechterte? Es mag ja sein, dass ich mir Helicobacter pylori eingefangen hatte oder irgendeine tropische Krankheit, aber ich bin überzeugt, dass diese ständige Übelkeit, die Schlaflosigkeit, die Schwindelgefühle, diese Schwächezustände nicht zuletzt auch psychisch bedingt waren. (10) Die Sorge um die Konsequenzen, die sich aus der Veröffentlichung der Evolutionstheorie ergeben könnten, schlug mir so sehr auf den Magen, dass ein normales Leben kaum mehr möglich war.

Leider konnte ich diesem inneren Konflikt auch zuhause nicht entrinnen. 1839 hatte ich meine Cousine Emma Wedgwood geheiratet. Emma war eine kluge Ratgeberin (11) und wunderbare Ehefrau, die die Kinder und auch mich, ihren ständig kränkelnden Ehemann, liebevoll umsorgte. Sie war mein größter Segen, und ich kann nur bestätigen, dass ich sie in meinem ganzen Leben nicht ein einziges Wort habe sagen hören, das besser ungesagt geblieben wäre (12). Doch bei all ihren charakterlichen Vorzügen war Emma leider auch eine gläubige Christin, was meine Gewissensbisse ungemein verstärkte. Sie werden es vielleicht seltsam finden, aber ich muss gestehen, dass ich die Veröffentlichung der Evolutionstheorie auch deshalb vor mir her schob, weil ich meine Ehe nicht aufs Spiel setzen wollte. Glauben Sie mir: Es sind durchaus nicht immer tiefsinnige, theoretische Erwägungen, sondern auch solche scheinbaren Banalitäten des Alltags, die das Denken und Handeln eines Forschers bestimmen...