Darwins Dankesrede | 17.02.2009

„Es war eine schwierige Geburt"

 

Allerdings sollte man sich durch solche Ignoranz nicht entmutigen zu lassen! 150 Jahre Evolutionstheorie reichen einfach nicht aus, um diese langlebigen Mythen zu entzaubern, die über Jahrtausende hinweg das Denken und Handeln der Menschen bestimmt haben. Immerhin: Wie ich gehört habe, vertraut hier in Deutschland mittlerweile die überwältigende Mehrheit der Menschen den Aussagen der Evolutionstheorie statt dem biblischen Schöpfungsmythos. Das ist ein bemerkenswerter Erfolg! Freilich heißt das nicht, dass man die Hände nun in den Schoß legen könnte. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass sich am Ende doch kreationistische Wirrköpfe durchsetzen werden. Bleiben Sie also wachsam! Und: Lassen Sie sich bitte nicht dadurch ausbremsen, dass man Ihnen vorwirft, Ihr Einsatz für die Evolutionstheorie sei nicht „weltanschaulich neutral".(16) Natürlich ist er das nicht! Wäre die Evolutionstheorie „weltanschaulich neutral", hätte ich mir vierzig Jahre Magenschmerzen doch glatt ersparen können!

Im Ernst: Wer die Evolutionstheorie verstanden hat, der weiß, dass sie mit traditionellen Glaubenssystemen nicht zu vereinbaren ist. So einfach - und zugleich so schwierig! - ist das! Ob man will oder nicht, man muss eine Wahl treffen: Entweder Evolution oder Schöpfung, Aufklärung oder Obskurantismus, wissenschaftliches Wissen oder religiöser Glaube. Sämtliche Versuche, das eine mit dem anderen zu verbinden, sind gescheitert. Was mich auch nicht verwundert, denn: Ein bisschen schwanger sein, geht nicht! Man muss sich schon entscheiden, welchem Pfad man folgen will. Was mich angeht, so glaube ich, dass ich richtig gehandelt habe, als ich mein Leben unbeirrbar der Wissenschaft widmete.(17)

Die wissenschaftliche Methode, die Methode des kritischen Zweifels, ist ohne Zweifel das beste Erkenntnisprinzip, das unsere Art bislang hervorgebracht hat. Diese Methode hat die Menschheit von vielen Irrtümern befreit, unseren Blick auf uns selbst und die Welt kolossal erweitert. Woher rührt dieser bahnbrechende Erfolg der Wissenschaften? Meines Erachtens daher, dass sie im Unterschied zu den Religionen keine unantastbaren Dogmen und auch keine unfehlbaren Säulenheiligen kennen, sondern darauf ausgerichtet sind, die Aussagen selbst der bedeutendsten Wissenschaftler jederzeit in Frage zu stellen und aus ihren Fehlern zu lernen.(18) So war es auch in meinem Fall. Auch ich habe mich in zahlreichen Punkten geirrt,(19) aber nachfolgende Forschergenerationen haben diese Irrtümer erkannt und daraus ihre Schlüsse gezogen.

Und damit komme ich zu einem Punkt, der mir sehr am Herzen liegt: Der Begriff „Darwinismus" verschleiert leider, wie viele Forscherinnen und Forscher tatsächlich an der Entstehung der modernen Evolutionsbiologie und -theorie beteiligt waren. Das war ganz gewiss nicht allein mein Werk! Ich möchte deshalb nach 150 Jahren Evolutionsforschung dafür plädieren, den Begriff „Darwinismus" endlich fallen zu lassen! Wohlgemerkt: Ich plädiere dafür nicht nur, weil dies angesichts der großen Leistungen unzähliger kluger Menschen nur recht und billig ist und man mit 200 Jahren jegliches Eitelkeitsgebaren überwunden haben sollte. Ich sage es auch aus Selbstschutz: Denn für vieles, was als „Darwinismus" gehandelt wurde und wird, will ich meinen Namen nun wirklich nicht hergeben!

Von Karl Marx, der mir einst einen freundlichen Brief schrieb, ist überliefert, dass er nach einer Schilderung seiner vermeintlichen Theorien gesagt haben soll: „Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin."(20) Ebenso könnte ich angesichts vieler vermeintlich „darwinistischer" Positionen sagen: „Alles was ich weiß, ist, dass ich kein Darwinist bin!" Dies gilt, wie Sie sich denken können, insbesondere in Bezug auf jene besonders abschreckende „Darwinismus"-Spielart, der das Wörtchen „Sozial" vorangestellt ist.