Rezension | 14.12.2010

Es ist nicht alles relativ

Da haben sie Einstein missverstanden

Jemand, der schon alles hat – braucht der auch noch Ethik? „The Moral Landscape“ von Sam Harris gewährt einen Einblick in die Untiefen des ethischen Relativismus verbildeter Eliten. Außerdem bietet es Einblicke in die Neuropsychologie und Wege aus dem Irrgarten der Ethik.

 

„Gäbe es nur eine Person auf der Welt, die ein schockiertes, kämpfendes, schreiendes kleines Mädchen festhält, ihr die Genitalien mit einem Seziermesser abschneidet und sie wieder zusammennäht, wobei er nur ein kleines Loch für den Urin und das Menstruationsblut übrig lässt, so wäre die einzige Frage, wie hart man ihn bestrafen muss, und ob die Todesstrafe eine hinreichend strenge Sanktion wäre. Aber wenn Millionen von Menschen das tun, dann vergrößert sich die Ungeheuerlichkeit nicht etwa millionenfach, sondern es wird auf einmal zur 'Kultur' und dadurch auf magische Art weniger schrecklich, als etwa schrecklicher, und wird sogar von einigen westlichen 'Moralphilosophen', sogar Feministinnen, verteidigt.“

Diese Aussage des Anthropologen Donald Symons fasst das Problem des ethischen Relativismus zusammen, der die gebildeten Sphären des Westens heimsucht. Sam Harris nennt diese Haltung „gelehrte Verwirrung“ oder „gelehrte Psychopathie“. Konservative Kreise begegnen ihr schon seit Jahrzehnten mit Abscheu, aber sie übersehen das Ausmaß, zu dem ihre eigene moralische Rigidität dieses Phänomen befördert hat.

Der Relativierungswahn ist auch in den Naturwissenschaften angekommen. Laut Sandra Harding, einer einflussreichen feministischen Wissenschaftsphilosophin, sollte es „multikulturelle“ Epistemologien geben, eine Erkenntnistheorie für jede gesellschaftliche Gruppe. Demnach wären Hitlers Idee einer „jüdischen Physik“ oder Stalins Gedanke einer „kapitalistischen Biologie“ tiefe Einblicke gewesen in die Mannigfaltigkeit der Epistemologie.