Ethikologie | 06.06.2010

Eine Wissenschaft des Glücks

 

Leben wie im Märchen

Szene aus Disneys "Verwünscht"

„...und sie lebten glücklich miteinander bis ans Ende ihrer Tage“. So lautet das typische Happy-End eines Märchens. Wir freuen uns, wenn die Geschichte für unsere liebgewonnenen Charaktere „gut ausgeht“. Hätten Menschen völlig verschiedene Vorstellungen vom guten Leben, dann gäbe es Kulturen, in denen Märchen ein ganz anderes Happy-End hätten, zum Beispiel: „Und das sechsköpfige Monster fraß den Prinzen und zertrat die Prinzessin und alle Menschen waren schrecklich traurig.“ Und das wäre ein gutes Ende, ein "Happy-End", mit dem alle Leser dieser Kultur zufrieden sein müssten. Ist das wirklich plausibel?

Ein anderer Einwand sind Menschen, die böse Dinge tun. Dschihadisten sprengen sich und andere in die Luft. Allerdings: Dafür werden sie ihrer Auffassung nach belohnt ihm Jenseits – wo sie ein langes und glückliches Leben erwartet. Bereits auf der Erde erwartet oftmals ihre Verwandtschaft ein gutes Leben, weil zum Beispiel in Palästina die Familien von Märtyrern belohnt werden. Pol Pot ermordete den Großteil der Intellektuellen in Kambodscha – aber dafür würden die unterdrückten Bauern ein langes und glückliches Leben in trauter Gleichheit führen, wie er glaubte. Hitler ermordete sechs Millionen Juden – und erwartete sich davon ein langes und glückliches Leben für alle „übermenschlichen“ Arier. Man erkennt also, dass Menschen essenziell dasselbe unter einem guten Leben verstehen, nur dass sie sich schwerstens darüber irren können, wie es zu erreichen ist. Die Ethik vieler Menschen ist einfach falsch, im selben Sinne, wie „1+1“ nicht „3“ ergibt.

 

Wie misst man Glück?

Es ist also eine tolle Sache, ein langes und glückliches Leben zu führen. Wenn Sie kein Akademiker sind, wissen Sie das wahrscheinlich sowieso schon; aber in intellektuellen Gefielden wird alles mindestens so lange auseinandergenommen, bis es keinen Sinn mehr ergibt. Wie an den Repliken zu den ersten Teilen dieser Reihe erkennbar war, sind Philosophen offenbar eher der Ansicht, dass man das Verlangen nach einem langen und glücklichen Leben nicht für alle Menschen verallgemeinern könne. Verdächtigerweise sind diese großen Denker trotzdem stets betrübt darüber, wenn der Kaffeeautomat ihrer Fakultät leer ist und dieser Umstand ihr eigenes Lebensglück beeinträchtigt.

Die Frage, wie man das Glück misst, stellte Soziologen und Psychologen vor große Herausforderungen. Die Länge eines durchschnittlichen Bürgerlebens zu messen, ist dagegen sehr einfach: Man zieht amtliche Eintragungen zu Rate und ermittelt die durchschnittliche Anzahl der Jahre zwischen Leben und Tod. Basierend auf diesen Erfahrungen schätzt man, wie lange die Lebenden noch in jenem Zustand verweilen werden. Am Ende kommt etwas heraus, das wir „Lebenserwartung“ nennen und das in den Weltgesundheitsstatistiken auftaucht. In den „Human Development Reports“ findet man die Daten fast aller Länder, die jedes Jahr frisch aktualisiert werden.

Aber wie misst man das Glück? Allerlei physiologische Korrelate wurden überprüft, aber keine lassen sich stabil mit dem Lebensglück in Verbindung bringen. Auch öffentlich erfassbare Verhaltensweisen lassen sich nicht konsistent mit der inneren Lebensfreude verknüpfen. Zwar sind Menschen, die versuchen, sich umzubringen, in der Regel sehr unglücklich, allerdings versuchen nicht alle Unglücklichen, sich umzubringen. Wieder hat der kalte Statistiker das Nachsehen.

Seit den 1970ern gebrauchen Statistiker darum verlegen die folgende Methode: Sie fragen die Leute einfach, ob sie glücklich sind. Eine professionelle Frage dieser Art sieht wie folgt aus:

„Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie zur Zeit, alles in allem, mit Ihrem Leben insgesamt?“

Nun darf man auf einer Skala von 1 für „unzufrieden“ bis 10 für „zufrieden“ ankreuzen, wie man die Sache sieht. Das ist alles.

Natürlich gab es über die letzten Jahrzehnte immer wieder Einwände, dass eine solche Methode doch viel zu einfach sei und unmöglich verlässliche Ergebnisse liefern könne. Ruut Veenhoven hat nach empirischen Belegen für die Einwände gesucht und hat keine gefunden. Andere Forscher sind ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Methode verlässlich ist. In der Tat korrespondieren Unterschiede in der Glücklichkeit zwischen den Nationen auf vorhergesagte Weise mit den nationalen Häufigkeiten von Depression und Selbstmord.