Veranstaltungshinweis | 18.01.2012

Eine Kantate zu Darwins Ehren

Darwin-Jahr Bild

Das Evomagazin möchte auf ein hochinteressantes neues Musikprojekt hinweisen. Mit dem Chor, dem Frauenchor und dem Orchester der Universität Bremen unter der Dirigentin Susanne Gläß wird am 15. Februar 2012 in Bremen im großen Saal der "Glocke" die knapp zweistündige Kantate The Origin zur europäischen Erstaufführung bringen, die der US-amerikanische Komponist Richard Einhorn 2008 komponierte und die 2009 aus Anlass des 200. Geburtstages von Charles Darwin in New York uraufgeführt worden ist. Sie handelt von seinem Leben und Werk und es werden ausschließlich Texte von Darwin verwendet.

Die Rahmendaten der Veranstaltung können dem folgenden Abschnitt enommen werden. Wer weitere Informationen benötigt oder sich einfach informieren möchte, dem seien die nachfolgenden Ausführungen ans Herz gelegt.

Mittwoch, 15. Februar 2012, 20 Uhr Konzert (europäische Erstaufführung) im großen Saal der Glocke/Bremen

Alison Browner: Mezzosopran
Michael Dries: Bassbariton
Orchester, Chor & Frauenchor der Universität Bremen
Susanne Gläß
: Dirigentin
Eintritt: 12 – 24 €, ermäßigt jeweils die Hälfte
Karten:  Nordwest Ticket , TSC und  Glocke
www.orchester-und-chor.uni-bremen.de

Zur Musik

Alle Texte des Librettos von Richard Einhorn's abendfüllender Kantate "The Origin" stammen von Darwin selbst. Dem großen Chor, dem Orchester und den beiden Solostimmen sind dabei Texte zugeordnet, die aus dem wissenschaftlichen Werk Darwins stammen. Am Anfang steht die Entwicklung aller Lebewesen aus einer Urform, was sich musikalisch sehr anschaulich darstellen lässt und wobei dem Komponisten seine Filmmusik-Erfahrung zu Gute kommt. Daran schließt sich eine Darstellung der vielen noch unbeantworteten Fragen an, die Darwin, bevor er sein Hauptwerk zu Papier brachte, in seinen Notizbüchern notierte. Die Bewegung des Suchens wird durch unruhige Rhythmen musikalisch nachvollziehbar gemacht. Auf die Fragen folgen erste Ergebnisse: die erste Skizze eines Baums als Modell für die Entwicklung der Arten. Das überträgt Einhorn unmittelbar in die Struktur der musikalischen Komposition. Er nennt dieses Verfahren „Inosculation“/Verzweigung. Auf die ersten Ergebnisse folgen Zweifel, dargestellt von den Solostimmen, die völlig unbegleitet alleine singen. Einhorn benutzt dafür Anklänge an mittelalterliche Liturgien und Litaneien, die, um das Drängen der Zweifel auszudrücken, im Tempo extrem gesteigert werden. In den letzten Nummern der Komposition ist zunehmend Darwins Freude darüber dargestellt, dass er seine Zweifel ausräumen kann und dass es ihm gelingt, eine schlüssige Theorie zu entwickeln.

Die besondere Fähigkeit von Musik ist, auch die menschlichen Gefühle samt den sprachlich kaum benennbaren Zwischentönen darzustellen. Der eigens für diese Aufführung an der Universität Bremen gegründete Frauenchor singt an sechs Stellen im Werk a cappella Texte aus Darwins privater Biografie, durch die er als Mensch begreifbar wird: z. B. wie er als Student Käfer sammelte, keine weitere Hand frei hatte, aber eine ganz besondere dritte Art entdeckte und sie in den Mund steckte, um sie mitnehmen zu können. Ein anderer Song handelt von der Trauer über den Tod seiner ältesten Tochter; darin wird Darwin als liebender Vater in berührender Weise erlebbar. In einer sehr erheiternden und vergnüglichen Nummer wird eine systematische Aufstellung vertont, die Darwin kurz vor seiner Hochzeit gemacht hat, in der er das Pro und Contra einer Heirat nüchtern und mit einer Prise Selbstironie mit wissenschaftlichen Methoden abwägt.

Zum Komponisten Richard Einhorn

Richard Einhorn wurde 1952 in den USA geboren und begann mit 15 Jahren als Gründungsmitglied von „Alfonso“, einem Multimedia-Ensemble, zu komponieren. Er studierte Komposition und elektronische Musik bei Jack Beeson, Vladimir Ussachevsky und Mario Davidovsky und schloss sein Studium an der Columbia Universität 1975 mit summa cum laude ab. Anschließend arbeitete er bei CBS Masterworks, wo er unter anderem Aufnahmen von Meredith Monk, The New York Philharmonic, Jean-Pierre Rampal und Isaac Stern produzierte. Seine Produktion der Cellosuiten von Bach mit Yo-Yo Ma erhielt den Grammy für die „Beste Instrumentalaufnahme“. 1982 verließ er CBS, um sich auf seine kompositorische Tätigkeit zu konzentrieren.

Einhorn komponiert Opern, Kammermusik, Liederzyklen, Ballette und Filmmusik. „Voices of Light“, seine „opera with silent film“ zum historischen Stummfilm „La Passion de Jeanne d'Arc“, wurde in den USA bereits mehr als 150mal aufgeführt, unter anderem in der Avery Fisher Hall und im Kennedy Center. Des Weiteren feierte das Werk weltweit Erfolge: im Opera House in Sydney (Australien), in London, Wien, Singapur, Johannesburg und Pretoria. Für das New York City Ballet komponierte Einhorn das Werk „Red Angels“, dessen Premiere 2002 live im Fernsehen übertragen wurde.

Außerdem schrieb er Musik für zahlreiche Filme, zum Beispiel für den Dokumentarkurzfilm „Educating Peter" (HBO), mit dem er 1992 den Academy Award (Oscar) gewann, sowie für Arthur Penns Thriller „Dead of Winter“ (MGM). Einhorns Filmmusik für „Fire-Eater“ von Pirjo Honkasalo wurde mit dem Jussi (Finnish Academy Award für „Best Musical Score“) ausgezeichnet.

Einhorn lebt in New York City.


Zur Kompositionstechnik

Darwins wissenschaftliche Texte beeindrucken durch ihren phänomenalen Scharfsinn, seine autobiografischen Texte durch Humor, Empfindsamkeit und Herzenswärme. All diese Merkmale zeichnen auch Einhorns Komposition aus. Die Musik ist lebendig, abwechslungsreich und liegt stilistisch zwischen Weltmusik und Minimalmusik; gelegentlich ist Einhorns langjährige Erfahrung als erfolgreicher Komponist von Filmmusik hörbar. Die Musik weist erstaunliche Ähnlichkeiten mit Orffs Carmina Burana auf, obwohl sie viel moderner ist: Sie besteht aus 21 kurzen Nummern, ist sehr sparsam in der Verwendung der musikalischen Mittel und klar in der Harmonik, stellt die Sprache (auch den Sprachwitz) in den Vordergrund, ist emotional ergreifend und betont den Rhythmus. Einhorn schreibt im Geleitwort über die Nähe einiger Nummern zur Volksmusik: „They are closer to folk music – a folk music for a country that doesn’t exist“. Dieses Schaffen einer Art von phantastischer, imaginärer Volksmusik ist eine weitere Parallele zu Orff, der ebenfalls beim Komponieren an ganz einfache, grundsätzliche Strukturen anknüpfte und damit die Grundlage für seinen Welterfolg legte. Orff nannte das in den 1930er Jahren in der Sprache der Zeit „das Elementare“.

Einhorn vertont ausschließlich kurze, zentrale Passagen aus Darwins Schriften. Er ordnet dabei seine Musik ganz dem Text unter und erfindet ähnlich wie die barocken Komponisten in ihren Motetten - zum Beispiel Schütz - zu jeder Passage die genau passenden Klänge und Rhythmen. Die Rhythmen leitet er ganz aus dem Sprachrhythmus ab. Da Darwin seine wissenschaftlichen Texte ja nicht in Versen und Reimen verfasst hat, sondern in Prosa, sind die Rhythmen entsprechend unregelmäßig, reich an Taktwechseln und sehr lebendig – ein Phänomen, das auch aus der Musik von Strawinsky bekannt ist, der durch die Vertonung der unregelmäßigen Metrik der russischen Dichtung ebenfalls zu komplexen Taktwechseln kam.

Susanne Gläß

Susanne Gläß ist Dirigentin, Geigerin und promovierte Musikwissenschaftlerin und seit 1996 Universitätsmusikdirektorin der Universität Bremen. Unter ihrer Leitung vergrößerte sich das Orchester von 32 auf 80 Mitspielende, sie gründete 2003 den Chor der Universität mit gegenwärtig 85 Mitgliedern und 2011 den Frauenchor der Universität. Sie entwickelte eine Kooperation zwischen der Universitätsmusik und den Bremer Philharmonikern und baute eine Konzertreihe mit über 50 Konzerten pro Jahr im Theatersaal der Universität Bremen auf. An der Hochschule für Künste in Bremen lehrt sie Orchesterleitung.

Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Verbindung von musikwissenschaftlicher Lehre mit musikalischer Praxis durch die Gestaltung von Rundfunksendungen, Schulmaterial, Programmheften und Einführungsvorträgen zu den Konzerten der Universitätsmusik in musik- und kulturwissenschaftlichen Seminaren. 2008 ist ihre Werkeinführung zu Carl Orffs „Carmina Burana“ im Bärenreiter Verlag erschienen.

Orchester der Universität Bremen

Das Orchester besteht seit der Gründung der Universität und wird seit 1996 von der Universitätsmusikdirektorin Dr. Susanne Gläß geleitet. Es ist ein vollständig besetztes Sinfonie-Orchester mit zurzeit 80 Mitgliedern: Studierende aus allen Fachbereichen der Universität und von anderen Bremer Hochschulen, die kein eigenes Orchester besitzen, außerdem Ehemalige, MitarbeiterInnen der Universität und im Laufe der Zeit hinzugekommene FreundInnen. Sämtliche Mitglieder spielen unentgeltlich; auch für eher seltene Instrumente wie Harfe oder Tuba werden keine bezahlten Aushilfen benötigt. Einmal im Semester coachen Mitglieder der Bremer Philharmoniker die Proben der verschiedenen Instrumentengruppen des Orchesters.

Das Orchester tritt entweder wie bei diesem Projekt gemeinsam mit dem Chor auf oder spielt Programme ausschließlich mit Orchestermusik. Es hat Konzertreisen nach Italien, Polen und Straßburg unternommen. In letzter Zeit standen unter anderem Tschaikowskys 2. Sinfonie, Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ und Schostakowitschs 5. Ballettsuite „Der Bolzen“ auf dem Programm.


Großer Chor und Frauenchor der Universität Bremen

Der große Chor der Universität wurde für die Aufführung von Carl Orffs „Carmina Burana” im Februar 2003 von der Universitätsmusikdirektorin Dr. Susanne Gläß gegründet. Das seitdem erarbeitete Repertoire umfasst zahlreiche Werke für Chor und Orchester, die gemeinsam mit dem Orchester der Universität Bremen aufgeführt wurden. Es beginnt mit Werken des 19. Jahrhunderts: dem Requiem von Brahms, dem Requiem von Fauré, dem Te Deum von Bruckner und Coleridge-Taylors „The Song of Hiawatha“. Ein Schwerpunkt liegt auf Werken der 1920er und 1930er Jahre mit Szymanowskis Stabat Mater, Spolianskys Kabarett-Oper „Rufen Sie Herrn Plim“, Weills „Der Weg der Verheißung“ und Tippetts „A Child of Our Time“; es reicht bis in die Gegenwart zum „Queenklassical“ der Band MerQury, zu Paul McCartneys „Liverpool Oratorio“ und zur deutschen Erstaufführung von Philip Glass‘ „Itaipu“.

Parallel dazu hat sich der Chor seit 2006 ein Repertoire an internationalen Liedern erarbeitet. Dies liegt nahe, weil die Universität Bremen viele internationale Kontakte pflegt, entspricht aber gleichzeitig dem Bedürfnis des Chores, zusätzlich zu den großen Werken mit Orchester auch spontan jederzeit gemeinsam Lieder singen zu können. Schon 2006 hat der Chor im Rahmen eines Projektes unter dem Titel „Sing along with friends“, das sich besonders an internationale Studierende der Universität Bremen richtete, osteuropäische und deutsche Lieder gelernt. 2008 war der Chor der University of Namibia in Bremen zu Gast und der Chor der Universität Bremen zum Gegenbesuch in Namibia. 2009 ist der Chor vom klassischen Kammerchor der Istanbuler Boğaziçi-Universität in Bremen besucht worden und hat den Besuch 2010 erwidert. 2011 hat der Chor den Chor „Dnipro“ von der Taras Schevchenko Universität Kiew (Ukraine) in Bremen empfangen und hat selbst im Herbst 2011 mit Unterstützung des Goethe-Instituts eine zehntägige Konzertreise durch die Ukraine mit Stationen in Lviv (Lemberg), Kiew und Odessa unternommen. Im Zusammenhang mit diesen Reisen hat der Chor zahlreiche afrikanische, türkische und ukrainische Lieder gelernt.

Der Chor besteht aus Studierenden, MitarbeiterInnen der Universität und im Laufe der Zeit hinzugekommenen FreundInnen. Die Mitgliederzahl pendelt zwischen 85 und 100; an den Reisen hat jeweils etwa die Hälfte davon teilgenommen. Im Juni 2010 wurde ein Konzert in der Universität Bremen mit dem in den letzten vier Jahren entstandenen Repertoire an internationalen Liedern mitgeschnitten und ist als CD unter dem Titel „Sing along with friends 2010“ bei Starfish Music erschienen. Die CD ist erhältlich in der Mensa und in der Pressestelle der Universität, bei Musikalien Thein, bei Amazon etc. und bei allen Konzerten des Chores.

Für die Aufführung von Einhorns „The Origin“ gründete Susanne Gläß im Frühjahr 2011 den Frauenchor der Universität mit 30 Mitgliedern, von denen die meisten aktive oder ehemalige Mitglieder des großen Chores der Universität sind. Die von Einhorn an einigen Stellen des Werks verlangte bulgarische Singtechnik mit ihrer speziellen Klangfarbe erlernte der Frauenchor im April 2011 in einem intensiven Workshop vom bulgarischen Frauenchores „Tvetnica“ aus Varna.

Der Frauenchor singt an sechs Stellen im Werk Texte aus seiner privaten Biografie, durch die Darwin als Mensch in sehr sympathischer Weise begreifbar wird: z. B. wie er als Student Käfer sammelte, keine weitere Hand frei hatte, aber eine ganz besondere dritte Art entdeckte und sie in den Mund steckte, um sie mitnehmen zu können. Ein anderer Song handelt von der Trauer über den Tod seiner ältesten Tochter; darin wird Darwin als liebender Vater in berührender Weise erlebbar.  In einer sehr erheiternden und vergnüglichen Nummer wird eine systematische Aufstellung vertont, die Darwin kurz vor seiner Hochzeit gemacht hat, in der er das Pro und Contra einer Heirat nüchtern und mit einer Prise Selbstironie mit wissenschaftlichen Methoden abwägt.