Evomagazin im Interview mit Helge Nyncke | 21.07.2011

Von Dinoauriern und Künstlern


Evomagazin: Neben der biologischen Evolution gibt es ja auch noch die kulturelle Evolution. Genau wie bei der biologischen ist dieser Prozess jedoch kein zielgerichteter hin zu einer höheren Entwicklung. Ein schönes Beispiel hierfür ist ja, dass die Malerei im Mittelalter sehr viel weniger exakt war, als die der Künstler in der Antike. Hast du eine Erklärung dafür, wie solch ein Rückschritt möglich war?

Helge Nyncke: Ich würde das nicht als Rückschritt werten, eher als eine Perspektiven-Änderung. Mit Ölfarbe eine idealisierte Landschaft zu pinseln ist nicht per se "besser" als einen kunstvollen Brokatmantel eines Bischofs zu malen. Auch ein klassischer griechischer Idealkörper in Marmor ist nicht unbedingt "wertvoller" als ein hölzerner Gekreuzigter. Es sind andere Themen und andere Darstellungsweisen. Allein die Abkehr von der naturalistischen zu einer Bedeutungsperspektive, in der z.B. Menschen in der Größe nach ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Rang unterschiedlich dargestellt wurden, kann man durchaus auch als eine erste Stufe zur künstlerischen Abstraktion sehen. Und die Exaktheit der handwerklichen Ausführung sagt ebenfalls nichts aus über den Wert, sonst wäre das "Geklecker" eines Jackson Pollock oder das "Wischiwaschi" eines William Turner auch nichts als Müll. Auch hier würde ich also die evolutionäre Perspektive empfehlen und nicht nach dem vermeintlich höheren oder niederen Wert fragen, sondern nach den der Veränderung innewohnenden Dynamiken und logischen Entwicklungen, die eben ein stetiges Auf und Ab widerspiegeln, Pendelbewegungen und gegenseitige Beeinflussungen, die alle miteinander in Zusammenhang stehen.

Evomagazin: Jeder Mensch hat ja auch sowas wie seine persönliche Evolution. Bei dir hat sich ja auch einiges geändert und du gehst neue Wege. Berichte unseren Lesern doch, was dich aktuell so umtreibt.

Helge Nyncke:
Wenn ich bei diesem Spannungsbild bleiben will, könnte ich sagen: dass eine Extrem des zur Perfektion neigenden künstlerischen Egos, das nach immer reizvolleren und lohnenderen Aufgaben süchtig ist, verblasst bei mir zur Zeit etwas hinter einer Pendelbewegung hin zu mehr sozialer Interaktion und Gemeinschaftsengagement. Momentan widme ich sehr viel Zeit der ganz konkreten aktiven pädagogischen Basisarbeit mit Kindern in einem internationalen Hort, nachdem ich zuvor bereits verschiedene Medienprojekte und körper- und bewegungsorientierte Workshops für Jugendliche betreut habe (siehe selbstaendige-vertretung.de). Die große Kunst der Illustration wie die Arbeit als vornehmlich satirischer Autor ruht größten Teils aufgrund außerordentlich schleppender Rückmeldungen seitens angefragter Verlage zu Projekten, die bereits seit langem voller Ungeduld in der Warteschleife stehen. Jedes Engagement in dieser freiberuflichen Richtung steht und fällt letztlich eben auch mit der Bereitschaft seitens der Vermittlermedien oder -Veranstalter, es weiter zu tragen, zu veröffentlichen, zu bewerben und mittels Lesungen oder Diskussionen zu fördern. Leider sieht es damit nicht sehr gut aus, was meiner Kreativität zwar grundsätzlich keinen Abbruch tut (siehe helge-liest-helge.de), wohl aber den Möglichkeiten, davon auch zu leben. Für mich bedeutet dies eben eine zumindest zeitweilig erzwungene Umorientierung zu weniger spektakulärem Broterwerb, was auch mal ganz erfrischend und Horizont erweiternd sein kann (und wir wissen ja, auch in der persönlichen Evolution gibt es streng genommen kein gut und kein schlecht, sondern nur ein anders und ein neu). Für die Medien- und Verlagslandschaft aber sehe ich schon eine gewisse Gefahr der Verödung hoffnungsvoller Ansätze, wenn diese nicht ausreichend gepflegt und weiter entwickelt werden. Wo wichtige Themen angestoßen werden wie mit dem Ferkel- oder dem Evolutionsbuch, müssen diese Setzlinge unbedingt intensiv weiter aufgepäppelt werden, sonst drohen sie vom Unkraut des Mainstreams wieder in kürzester Zeit vollständig überwuchert zu werden. Und das wär´s dann gewesen - eine schöne Anekdote, ein interessanter, aber leider wieder ausgestorbener Zweig der Evolution. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und ich denke schon, dass auf absehbare Zeit wieder ein echter Nyncke das Licht der Buchwelt erblicken und hoffentlich zu weiteren heiteren oder auch ernsthaften Diskussionen Anlass geben wird.