Gastbeitrag | 17.12.2009

Darwin und die Weltwirtschaftskrise

Demonstration in der Wall Street, New York (Foto: matthewnstoller, flickr)

Der Biologe Andreas Kilian verbindet in seinem Buch "Egoismus, Macht und Strategien" Erkenntnisse der Soziobiologie mit linker Gesellschaftskritik. In diesem Gastbeitrag tut er dies ebenfalls in Hinblick auf die Weltwirtschaftskrise. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was Kilian sagt. Aber es ist eine unorthodoxe Sichtweise.

Der Zufall wollte es, dass das Darwin-Jahr und die Weltwirtschaftskrise zusammenfielen. Aber was haben sie miteinander zu tun?
Gewinner und Verlierer, Superreiche und Hungertote zeigen einmal mehr, dass wir immer noch in den Mechanismen der Evolution gefangen sind. Wir führen unsere innerartliche Selektion nur mit anderen, mit “kulturellen”, Mitteln fort. Nein, niemand möchte für den Tod anderer verantwortlich sein. Aber Tote sind das, was dabei herauskommt, während es einigen Wenigen besser geht. Es gibt nicht nur Verhungerte in der Dritten Welt, sondern auch erfrorene Obdachlose in unserer Hartz-IV-Welt. Die Weltwirtschaftskatastrophe bietet daher eine Gelegenheit, über menschliches Verhalten, evolutionäre Strategien sowie unsere arteigenen Selektionsmechanismen nachzudenken.

Machen wir einen hypothetischen Ausflug in die menschliche Vergangenheit und sehen uns die treibende Kraft und die Hauptursache unseres Wirtschaftssystems an: Das Privateigentum! Ein Tier, welches sich ein Nest baut, nimmt sich Material zum Bau und lässt es zurück, wenn es seinen Zweck erfüllt hat. Es haftet nicht an materiellen Dingen. Nur in der kurzen Zeit der Balz und des Brütens wird der vermeintliche Besitz erobert und verteidigt. Ist der Rausch der Hormone verflogen, so hört auch das “Besitzverhalten” auf. Das Gefühl von “Privateigentum” ist auch beim Menschen nur ein Trick unserer Psyche, damit wir zweckdienliche Gegenstände effektiver mit Klauen und Zähnen in Besitz nehmen und verteidigen. Es ist selbstredend, dass es in den Kreisläufen der Natur kein Privateigentum gibt. Durchgesetzt haben sich bei unseren Ahnen im Laufe der Evolution jene, die aggressiver und besitzergreifender waren. Sie bezeichneten die gewaltsame Aneignung als Privatisierung.

Und diese Aneignung trägt heute zum Teil merkwürdige Blüten. So besitzen die fünf reichsten Menschen der Erde genausoviel Geld, wie etwa vierzig Prozent der ärmeren Weltbevölkerung. Die einhundert reichsten Menschen verfügen zusammen über mehr als die Hälfte aller Geldmittel dieser Welt. Allein die englische Königin besitzt ein sechstel der Erdoberfläche als Grundbesitz. Alles zusammen pathologische Anhäufungen, die ein Mensch alleine nie verbrauchen kann und die an anderer Stelle sinnvoller zu verwenden wären, wenn sie wieder in den Kreislauf zurückfließen könnten. Stattdessen leiden im Darwin-Jahr 2009 zirka eine Milliarde Menschen Hunger bzw. sind direkt vom Hungertod bedroht: Also jeder sechste Mensch. Mit jedem Atemzug, den wir machen, sterben zwei Kinder an Unterernährung. Nicht, weil es keine Nahrung gibt, sondern weil unsere archaische Psyche uns nicht teilen lässt.