Kritik | 02.03.2009

Crash der Wissenschaftskulturen

Wissenschaft

Die berühmten zwei Kulturen der Geistes- und Naturwissenschaft treffen hier am Wissenschaftskolleg in Berlin unmittelbar aufeinander. Und wie immer, wenn sich verschiedene Kulturen begegnen, passiert dies mit einer Mixtur aus Neugier für das Fremde und einer Prise Unverständnis oder gar Ablehnung.

Raghavendra Gadagkar ist ein indischer Verhaltensbiologe aus Bangalore, der an sozial lebenden Wespen forscht. Er verbringt mehrere Monate im Jahr als „permanent fellow“ am Wissenschaftskolleg in Berlin. Seine Beobachtungen zur unterschiedlichen Arbeitsweise von Natur- und Geisteswissenschaftlern hat er in einem interessanten Essay zusammengefasst. Hier sind einige seiner Beobachtungen und meine Ergänzungen:

 

         "Geisteswissenschaftler sitzen beim Vortragen, Naturwissenschaftler stehen. Erstere lesen ihre Vorträge ab, Letztere reden frei. Naturwissenschaftler benutzen selbstverständlich visuelle Hilfsmittel wie Powerpoint, Geisteswissenschaftler nicht oder eher zögerlich. Naturwissenschaftler wiederum zitieren intellektuelle Vorfahren eher selten und meist nur in der Einleitung – die Daten ihrer Experimente sollten für sich sprechen. Geisteswissenschaftler hingegen leben davon, ihren Ausführungen mit Zitaten meist verstorbener Geistesgrößen mehr Gewicht oder Glaubwürdigkeit zu geben."

 

Warum diese Unterschiede? Die Antwort des Geisteswissenschaftlers wäre wahrscheinlich ein reflexartiges „Kultur!“. Der Naturwissenschaftler wiederum argumentiert, dass eswohl durch zufällig entstandene und geschichtlich verfestigte Unterschiede erklärbar sein könnte, also durch „Auslese“.

In den Naturwissenschaften ist es wichtig,was gesagt wird, und weniger wichtig, wie es gesagt wird.

Exakte und elegante oder gar unnötig komplexe, ja, kryptische Sprache ist deshalb weit weniger verbreitet in den Naturwissenschaften. Im gefühlten Unterschied zu den Geisteswissenschaften wollen Naturwissenschaftler Klartext reden und nicht den Eindruck vermitteln, dass es an den intellektuellen Limitationen des Publikums liegen muss, wenn etwas unklar bleibt. Experimente und Daten allein zählen. Bei den Geisteswissenschaften dagegen hat man manchmal den Eindruck, dass es mindestens ebenso wichtig ist, wie und vor allem von wem etwas gesagt wird.

Nehmen wir beispielsweise Jürgen Habermas und seine (Entschuldigung, wirren) Ideen zum Gehirn im Speziellen und der Evolution im Allgemeinen. Weil er Habermas ist, nehmen viele seine Aussagen erst einmal ernst, und wenn sie sie nicht verstehen, suchen sie den Fehler bei sich selbst. Naturwissenschaftler würden, frei nach Wolf Singer, schlicht sagen: „Wo sind die Daten?“ oder auch „Geh doch mal ins Labor!“

Axel Meyer

 

Quelle: Quantensprung-Kolumne im Handelsblatt