Evomagazin im Interview | 26.07.2011

Colin Goldner zum Great Ape Project


Evomagazin: Gibt es denn schon konkrete Ideen, wie man das Projekt voranbringen kann?

Colin Goldner: Ja. Als erste Maßnahme wurde eine eigene Website erstellt (www.greatapeproject.de), auf der über das Projekt informiert und über die ein Netzwerk an Mitstreiterinnen und Mitstreitern geknüpft werden kann. Namhafte Tierrechtsverbände wie die „Albert Schweitzer Stiftung“ oder der „Bundesverband Menschen für Tierrechte“ haben bereits ihre Unterstützung zugesagt. Es soll insofern auch Kontakt zu Personen und Organisationen aufgenommen werden, die bereits mit verwandten Zielen oder Projekten befasst sind: die „Stichting AAP“ in Holland etwa, oder „Monkey World“ im südenglischen Dorset; selbstredend auch mit dem in der Lüneburger Heide ansässigen Affenschutzzentrum „Affen in Not“. Darüberhinaus sind verschiedenste Aktionen und Publikationen geplant, über die ein möglichst breites öffentliches Interesse an den Zielen des Great Ape Project hergestellt werden soll; dazu gezielte Lobbyarbeit auf politischer Ebene. Nicht zuletzt soll an bereits bestehenden Plänen mitgewirkt werden, ein eigenes Schutzzentrum für Menschenaffen in Deutschland zu etablieren. Ganz konkret werde ich als nächstes eine Bestandsaufnahme der aktuellen Haltungsbedingungen von Primaten in Deutschland und im europäischen Ausland in Angriff nehmen. Ich werde reihum sämtliche Zoos und sonstigen Einrichtungen besuchen, in denen Schimpansen, Gorillas, Orang Utans oder Bonobos gehalten werden und die jeweiligen Haltungsbedingungen dokumentieren. Aus den gesammelten Beobachtungen soll eine Dringlichkeitsliste für zu ergreifende Sofortmaßnahmen erstellt werden. Ganz oben auf dieser Liste wird sicher der sogenannte „Schwabenpark Welzheim“ bei Stuttgart stehen, ein Freizeitpark mit Achterbahnen und sonstigen Fahr- und Amusementbetrieben, in dem in täglichen Shows dressierte Schimpansen in Indianerkostümen oder verkleidet mit Nachthemd und Tirolerhut vorgeführt werden. Ich werde den Tierschutzbeauftragten der neuen grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg nachdrücklich daran erinnern, dass der Kolationsvertrag eine „konsequente Umsetzung des Staatsziels Tierschutz“ vorsieht.

Evomagazin: In jüngster Zeit haben einige Zoos ihre Primatenhaltung verbessert. So wurde etwa in Frankfurt ein neues 10 000 Quadratmeter großes Affenhaus mit tropischer Atmosphäre geschaffen. Wie sind solche Projekte deiner Meinung nach zu bewerten.

Colin Goldner: In knapp 30 der mehr als 800 Zoos und Tierparks in Deutschland werden gegenwärtig etwa 250 Große Menschenaffen zur Schau gestellt. Während sich einige der wissenschaftlich geführten Zoos –  München, Leipzig oder auch Frankfurt vorneweg – um Haltungsbedingungen bemühen, die wenigstens dem bundesministeriellen Säugetiergutachten von 1996 entsprechen, das Mindestanforderungen an die Haltung von Wildtieren in Zoos formuliert, erfüllt die Primatenhaltung in anderen Zoos, in Stralsund etwa, in Wuppertal  oder im niederbayerischen Straubing, noch nicht einmal diese grundlegenden Standards. Und selbst die Minimalanforderungen des Tierschutzgesetzes werden mancherorts unterschritten. Gleichwohl die Haltung von Menschenaffen in reisenden Unternehmen nach den Zirkusleitlinien von 2003 nicht mehr zulässig ist, kann etwa besagter „Schwabenpark“ als nicht-reisendes Unternehmen sich diesem Verbot elegant entziehen. Seit Mai 2010 sind in den Staaten der EU medizinische Versuche an Menschenaffen nur noch ausnahmshalber erlaubt, in deutschen Labors werden insofern, offiziell zumindest, keine Primaten mehr gehalten. Zur Frage nach den Zoos modernerer Prägung, die wissenschaftlichen Leitlinien entsprechend geführt werden: Mir ist natürlich bewusst, dass es schlechtere und bessere Zoos gibt. Zu letzteren zählt unbestritten der Zoo in Frankfurt, der 2008 sein neues Affenhaus eröffnet hat. Dieses Haus mit Tropenatmosphäre ist gewiss besser als das alte mit seinen Gitterkäfigen aus den späten 1950er Jahren, auch wenn die publikumswirksame Angabe von 10.000 Quadratmetern Grundfläche reine Augenwischerei ist. Tatsächlich umfassen die voneinander getrennten Innenanlagen, in denen sich die Tiere die meiste Zeit aufhalten, für die derzeit 7 Gorillas exakt 466qm, für die 7 Orang Utans 253qm und für die 12 Bonobos 254qm; hinzu kommen die nur gelegentlich und nur im Sommer nutzbaren Außenanlagen: 3360qm für die Gorillas, 587qm für die Orang Utans und 1030qm für die Bonobos. In der Summe macht das gerade einmal 973qm für die Innenanlagen und weniger als 5500qm für die Außenanlagen. Und das für 26 Menschenaffen. Um auf 10.000qm zu kommen, wurden die Versorgungsgänge sowie die Gehwege und Aussichtsplattformen für die Besucher einfach miteinberechnet. Aber egal wie groß die jeweiligen Anlagen auch sein mögen: als Tierrechtler trete ich für eine grundsätzliche Abschaffung des Zurschaustellens von Tieren ein. Auch wenn die Bonobos, Gorillas und Orang Utans des Frankfurter Zoos seit 2008 in vergleichsweise akzeptablen Verhältnissen leben. - gar in vorbildlichen, zieht man die Haltungsbedingungen in Stralsund, Wuppertal, geschweige denn: in osteuropäischen Zoos als Vergleich heran -, haben Menschenaffen in Zoos prinzipiell nichts verloren; andere Tiere auch nicht. Die Zuerkennung von Grundrechten an Menschenaffen, die das Ende von Zoo-, Zirkus- und Laborhaltung bedeuten würde, sehe ich - mit Singer und Cavalieri - als einen ersten Schritt hin zu einem dringend notwendigen Paradigmenwechsel: Menschenaffen stellen den Dreh- und Angelpunkt dar des Verhältnisses Mensch-Natur, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze zu den Affen hin durchlässig, könnte das ein „Türöffner“ sein, der letztlich allen Tieren zugute käme. Im besten Fall könnte dies - in Analogie zur Abschaffung der Sklaverei - zu besagtem Paradigmenwechsel führen, zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier.

Evomagazin: Vielen Dank Colin für das Interview