Rezension | 05.08.2011

Blattschneiderameisen – der perfekte Superorganismus

Darwin-Jahr Bild

Zivilisationen mit Landwirtschaft seit 20 Millionen Jahren? Pflege, Düngung, korrekte Nährstoffversorgung und Schutz der „Kulturpflanzen“ seit 10 Millionen Jahren? Arbeitsteilung in differenziertester Form? Wer das nicht glaubt, sollte das neue Buch der beiden herausragenden Ameisenforscher der letzten Jahrzehnte der letzten Jahrzehnte Bert Hölldobler und Edward O. Wilson zur Hand nehmen: In ihrem Buch „Blattschneiderameisen – der perfekte Superorganismus“ führen sie den Leser in eine Welt von unterirdischen Städten aus einer Mutter und mehreren Millionen von Töchtern ein, bei denen Männchen immer nur sehr temporär als Samenspender in Erscheinung treten, um von ihnen befruchteten Königinnen die nicht sehr große Chance zu geben, eine neue Kolonie zu gründen, um den Hauptzweck des Geschäfts zu erfüllen: „die Umwandlung von lebendem pflanzlichen Material in neue Kolonien von Blattschneiderameisen“ und da mit den Erhalt der Art zu sichern.
Dass derartige Millionen“städte“ funktionieren, haben sich im Verlauf der Evolution hochkomplexe Abhängigkeiten zwischen bestimmten Pilzen und Ameisenarten sowie hochkomplexe Kommunikationsformen zwischen den Ameisen untereinander und zwischen ihnen und ihrer „Kulturpflanze“ entwickelt, die zu dem Erstaunlichsten gehören, was die Natur uns bieten kann.

Die Autoren stellen die höchstentwickelte „Landwirtschaft“ der echten Blattschneider(innen) in den Mittelpunkt mit den verschiedenen Aspekten wie Logistik, Abfallmanagement,  Ernte etc., stellen aber auch die Evolution dieser Lebensweise kurz (hier hätte man sich etwas tiefer gehende Informationen gewünscht) dar. Diskutiert wird auch der im Titel vorkommende Begriff des „Superorganismus“, der um 1911 in die biologische Literatur eingeführt wurde und der eine solche Aggregation – den erweiterten Phänotypus (Richard Dawkins) der entsprechenden Arten - weniger mit einem „Staat“ sondern eher mit einem Organismus vergleicht. Und es spricht für die kollegiale Offenheit der seit langer Zeit zusammen arbeitenden Biologen, hier auch Kontovers einzugestehen: Während Wilson eher dazu neigt, eusoziale Assoziationen als Superorganismus zu bezeichnen, möchte Hölldobler den Begriff eher auf Fälle beschränken, wo innerhalb des „Staates“ die Konkurrenz um den Fortpflanzungsstatus reduziert ist oder gänzlich fehlt.

Der auch biologischen Laien ohne größere Vorkenntnisse zugängliche and mit einem Glossar, einem Verzeichnis aktueller Spezialarbeiten sowie einer beeindruckenden Fülle von hervorragenden Aufnahmen aus der kleinen Welt dieser ausgefuchsten Superorganismen ausgestattete Band kann ohne Einschränkungen Naturfreunden, an Biologie und Evolution Interessierten empfohlen werden. Auf das Bücherbrett von Biologielehrern oder –lehrerinnen gehört er sowieso. Eine besondere Stärke des Bandes ist, das er die neuesten Ergebnisse diskutiert und auf noch offene Fragen hinweist. Gerade diese belegen, dass wir vieles noch nicht verstehen und dass auch hier – auf einem Feld der „klassischen“ Biologie - noch eine Menge nicht zuletzt methodisch anspruchsvollster Grundlagenforschung vonnöten ist, die auch dringend der Finanzierung und der Achtung bedarf.

Eine Rezension von Priv.-Doz. Dr. Stefan Schneckenburger, Technische Universität Darmstadt zum Buch: 

Hölldobler, Bert & Wilson, Edwar O. (2011):
Blattschneiderameisen – der perfekte Superorganismus
Gebunden,  166 S., zahlreiche Abbildungen
ISBN 978-3-642-16704-1
Berlin, Heidelberg- Springer - Preis: 29.95 €