Rezension | 01.12.2011

Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus

Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch hat sich mit seinem internationalen Bestseller Postdemokratie einen Namen weit über das akademische Spektrum hinaus gemacht. Mit Postdemokratie gelang es Crouch zudem, eine Debatte über den Zustand unserer westlichen Demokratiesysteme zu entfachen. Mit seinem neuen Buch Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus widmet er sich nun einer ökonomischen Schule, welche die Welt maßgeblich beeinflusst hat.
Wie bereits der Titel suggeriert, treibt Crouch dabei die Frage um, wie es eigentlich sein kann, dass jene neoliberale Denkschule, welche die immer noch grassierende Finanzkrise zu verantworten hat, überleben konnte. Er fragt sich konkret, warum der Neoliberalismus nicht untergegangen sei. Um zu einer Antwort zu gelangen, holt der Autor in seinem Essay weit aus. Er skizziert zunächst die Ideengeschichte des Neoliberalismus und analysiert seinen Aufstieg. Dann zeigt er die Grenzen der Marktwirtschaft auf und widmet sich dem Problem marktbeherrschender Konzerne.

Klar zeigt er, dass die Verzahnung der Großkonzerne mit der Politik ein großes Problem ist. Wenn neoliberale Markt predigen meinen sie eben meist doch nur den Großkonzern. Dies wird auch sehr deutlich, wenn man sich die übliche Praxis bei der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe ansieht. Crouch zeigt hier anhand von Beispielen, dass das Endergebnis zumeist nur die Schaffung von Monopolen oder Oligopolen ist. Zudem zeigt er auch, dass Großkonzerne zunehmend die Demokratie aushöhlen. Zudem erklärt er in verständlicher Weise, wie es zur Finanzkrise kommen konnte und widerlegt die neoliberale These, dass privat immer grundsätzlich besser wäre als Staat. Wobei er besonders scharf Milton Friedman und die durch ihn geprägten Chicagoer Denkschule angreift.

Im analytischen Teil des Essays gelingt es ihm in beeindruckender Weise, viele Denkirrtümer der Neoliberalen zu widerlegen. Wobei aber Crouch fast gänzlich auf Pauschalisierungen und unfaire Argumentationen verzichtet. Auch ist in dem Buch kein allgemeines Marktbashing zu finden, vielmehr schreibt er eher aus der Perspektive des Ordoliberalismus. Doch wie beantwortet nun der Autor die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Überleben des Neoliberalismus? Crouch hat hier am Ende seines Buches eine klare und ernüchternde Antwort. Er schreibt: „ Die Antwort: so gut wie alles. Die wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die hinter dieser Agenda stehen, sind zu mächtig, als daß ihre Vorherrschaft ernsthaft ins Wanken gebracht werden könnte.“

Kann man also gar nichts tun gegen die Macht der Eliten? Doch kann man. Allerdings fällt die Antwort leider ziemlich ernüchternd, möglicherweise aber auch einfach nur realistisch aus. Weder schlägt er eine grundlegende Reform des Weltfinanzsystems noch eine Neustrukturierung der ökonomischen Beziehungen vor. Stattdessen soll es die Zivilgesellschaft richten, die es zu stärken gelte und die sich auf dem Schlachtfeld der Moral bewähren müsse.

Fazit: Wie schon Postdemokratie ist auch das neue Buch des Briten ein unverzichtbarer Debattenbeitrag zur Zukunft unserer Gesellschaften. Das Buch besticht durch eine brillante Analyse neoliberaler Vorstellungen, der Macht der Großkonzerne und der Entstehung der Finanzkrise. Enttäuschend ist jedoch sein Lösungsvorschlag, was jedoch nicht dem Autor anzulasten ist, sondern ein Strukturwandel ist wohl unter den aktuellen Umständen schlicht nicht realistisch. Mehr Mut zur Utopie hätte sich der Rezensent jedoch dennoch gewünscht.

Eine Buchbesprechung von Frank Welker zum Buch: 

Colin Crouch: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Suhrkamp, 2011